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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Student, fĂŒr den österreichischen Rundfunk in Graz, besprechen oder mich seiner annehmen sollte: ich hielt den Autor, Hermann Lenz, fĂŒr einen Österreicher und dachte, was ist das fĂŒr ein Österreicher, so einen Österreicher, wie der da schreibt, habe ich noch nie gelesen.47 Der junge Autor, der 1972 mit Der kurze Brief zum langen Abschied und Wunsch- loses UnglĂŒck zwei seiner bis heute meistgelesenen BĂŒcher vorgelegt hatte, wandte sich Ende des Jahres brieflich an den bislang kaum beachteten Hermann Lenz, lernte ihn kurz darauf persönlich kennen und setzte sich in der Folge mit Nach- druck fĂŒr die Verbreitung von dessen literarischem Werk ein, nicht zuletzt durch die Vermittlung an die Verlage Insel bzw. Suhrkamp: Im Februar 1976 bekannte Handke bei einer Lesung in MĂŒnchen  – einem der wenigen öffentlichen Auftritte des Autors in diesen Jahren  –, er, „der ich fast 30  Jahre jĂŒnger bin als Hermann Lenz“, sei durchaus „egoistisch stolz“ auf den mittlerweile zum Freund gewor- denen „freien Schriftsteller“, den er an diesem Abend vorstellte.48 Er hatte mit seinen wiederholten LektĂŒreempfehlungen, legitimiert durch sein symbolisches Kapital im literarischen Feld, ganz wesentlich dazu beigetragen, Lenz nach Jahr- zehnten des Schreibens im Verborgenen einem grĂ¶ĂŸeren Publikum bekannt zu machen.49 Sein Engagement fĂŒr Lenz kann geradezu als Paradefall der von Pierre Bourdieu beschriebenen „Konsekrationsmacht“ etablierter Autoren gelten, die 47 Peter Handke: Hermann Lenz, der Epiker des „und“, „bei“ und „mit“. Rede zur Verleihung des EuropĂ€ischen Literaturpreises. In: P. H.: MĂŒndliches und Schriftliches. Zu BĂŒchern, Bildern und Filmen. 1992 – 2002. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002, S.  101 – 111, hier S.  102.  – In der Rund- funksendung hatte es diesbezĂŒglich geheißen: „Es ist dies nicht nur dem Schauplatz nach ein im Grunde österreichischer Roman: die zur Schau getragene Gleichmut, die große Verwund- barkeit im Innern, die Vergangenheitsverhaftung machen den Diener Wasik vertraut lebendig.“ (Handke: „BĂŒcherecke“ vom 18. 1. 1965 [Anm.  43], S.  202) 48 Peter Handke: Hermann Lenz, freier Schriftsteller. [1976] In: P. H.: Das Ende des Flanierens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980, S.  70 – 73, hier S.  73. Auf diese Veranstaltung in MĂŒnchen geht Handke in seinem Brief an Lenz vom 11. 3. 1976 ein und bekennt, „vorher meine unheilbaren kleinen ZustĂ€nde, vor Leuten zu sein“, gehabt zu haben (Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages [Anm.  35], S.  97). 49 Zur Beziehung von Handke und Lenz vgl. Helmut Böttiger/Charlotte Brombach/Ulrich RĂŒdenauer: Sanfte Bewegungen von außen nach innen. Zum Briefwechsel von Peter Handke und Hermann Lenz. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm.  35), S.  427 – 444, hier S.  442: „FĂŒr Hermann Lenz ist die Begegnung mit Peter Handke ein entscheidender Wende- punkt in seinem Leben. VerblĂŒfft notiert er die ersten Anzeichen, wie er in den Literaturbetrieb integriert wird, wie sich die Lesungen hĂ€ufen, wie Fragen an ihn gestellt werden, wie er BĂŒcher signieren soll. Er findet durch Handke Zugang zu einem literarischen und Freundschafts-Zirkel, der ihm jahrzehntelang verschlossen war.“ Vgl. den Bericht von Hermann Lenz: Begegnungen mit Peter Handke. In: ensemble. Internationales Jahrbuch fĂŒr Literatur 8 (1977), S.  154 – 157. Dazu Höller: Peter Handke (Anm.  42), S.  79 f.; Malte Herwig: Meister der DĂ€mmerung. Peter Handke. Eine Biographie. MĂŒnchen: DVA 22010, S.  199 – 207. Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen Literaturkritik230 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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