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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Romans Der Kutscher und der Wappenmaler seine WertschĂ€tzung fĂŒr Lenz’ Lite- ratur im Allgemeinen zu betonen: Es war gerade eine Jahreszeit wie auf einer Eisscholle, so bodenlos dunkel ringsherum, und manchmal hatte ich AngstzustĂ€nde, daß mir beim VorĂŒbergehen an einem leeren Zimmer die Ohren stachen, aber sobald ich Der Kutscher und der Wappenmaler las, hörten die GegenstĂ€nde um mich herum auf, Vorzeichen des Furchtbaren zu sein, und standen unverrĂŒckbar in dem freundlichen elektrischen Licht, in das ich nun wieder aufschauen konnte. Ich bekam vom Lesen ein KindheitsgefĂŒhl: als ob nun endlich alle Vermißten zu Hause wĂ€ren. Wenn zwischendurch die nĂ€chtliche Stille wieder mit Bedeutungen drohte, las ich einfach genauer, Wort fĂŒr Wort, und die Bedeutungen vergingen; das Buch lenkte mich nicht ab von ihnen, sondern es stĂ€rkte mich gegen sie; kaum jemals hatte ich mich so geborgen gefĂŒhlt.61 Der Rezensent, der die „fremde Rolle“ des Kritikers sowie die damit assoziierten „beliebig verfĂŒgbare[n] Begriffe“ 62 ein Jahr zuvor, in der bereits zitierten Vor- bemerkung zu Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, demonstrativ von sich gewiesen hatte, fĂŒhrt hier die Verortung des Lesens im Leben exemplarisch vor; die Besprechung erweist sich zuallererst als autobiographischer LektĂŒrebericht: [I]ch erinnere mich, wie es war, als ich Der Kutscher und der Wappenmaler las, und wie es gewesen ist, als ich das Buch zu Ende las: am frĂŒhen Morgen im Stockfinstern aufgewacht, fing ich nach einiger Zeit zu lesen an. Dann war es hell, und die Geschichte vom Kutscher August Kandel, fĂŒr den der geheimnisvolle Wappenmaler hinter ihm in der Kutsche das andere Leben bedeutete, war aus. Eine tiefgelbe Wintermorgen- sonne im Zimmer; die BesĂ€nftigung; nichts vergessen, dachte ich.63 61 Ebd., S.  83 f. Über Handkes WĂŒrdigung zeigte sich Lenz erfreut, wie sich aus Handkes Antwort- brief erschließen lĂ€sst. Vgl. Handke an Lenz, 30. 12. 1973. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm.  35), S.  35: „Lieber Hermann Lenz, auch mich hat es gefreut, den Aufsatz in der ‚SĂŒddeutschen Zeitung‘ zu lesen, sehr, und Ihre Meinung und Beschreibung dazu hat mich richtig glĂŒcklich gemacht, ich habe Ihren Brief öfter gelesen und lese ihn immer noch.“ 62 Handke: Vorbemerkung (Anm.  39), S.  8. In einem ersten Entwurf der einleitenden Überlegun- gen, der ausdrĂŒcklich „(Keine Überschrift!)“ vorsieht, war noch von „flinken Begriffen“ die Rede, was Handke dann durch „beliebig verfĂŒgbaren Begriffen“ ersetzt. Siehe dazu das Faksimile der Korrekturen in: „Was ich schreibe, ist ja nur meine geformte Existenz“. Peter Handke. Eine Ausstellung ĂŒber Leben und Werk des Schriftstellers. Stift Griffen 1997. Klagenfurt: Kultur- initiative Stift Griffen 1998, S.  50. 63 Handke: Jemand anderer: Hermann Lenz (Anm.  43), S.  84 f. In der Folge schildert Handke auch ein GesprĂ€ch mit Lenz, in dem er diesem von der LektĂŒre seiner Werke berichtet habe: „Ich erzĂ€hlte, wenn ich sehr lange in einem seiner BĂŒcher gelesen hĂ€tte, kĂ€me mir gegen Ende darin auf einmal alles selbstverstĂ€ndlich vor, unumstĂ¶ĂŸlich, aber ungezwungen, völlig ruhig, aber Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 233 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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