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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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der Kritik, das Handke dazu verhalf, von der Vermittlung von Daten und Fak- ten in einem Wertungszusammenhang wegzukommen, und an dessen Stelle das Kritisierte in einen Erfahrungszusammenhang zu stellen.“ 87 Entsprechend hat Handke 1995 in einer weiteren Laudatio, anlĂ€sslich der Verleihung des Nicolas- Born-Preises an Arnold Stadler, bemerkt, es sei „vielen Kritiken zu entnehmen, daß der Rezensent das Wissen ĂŒber den Autor nicht mehr aus dem Lesen bezieht, sondern aus Daten, aus dem Lexikon.“ 88 Anhand der bereits zitierten ErzĂ€hlung Langsame Heimkehr und ihres Prota gonisten Valentin Sorger lĂ€sst sich exemplarisch zeigen, wie stark das skizzierte Problem auch in Handkes literarische Texte hineinwirkt, speist sich die Skepsis des Geologen Sorger gegenĂŒber den „Beschreibungsmethoden“ seiner Wissenschaft doch ganz wesentlich aus dem Umstand, dass sie es, wie zuletzt Ulrich von BĂŒlow gezeigt hat, nicht ermöglichen, „die eigenen Erfah- rungen“ des Forschers auszudrĂŒcken.89 WĂ€hrend Sorgers Interesse der „Mög- lichkeit eines ganz verschiedenen Darstellungsschemas der ZeitverlĂ€ufe in den Landschaftsformen“ gilt (und er sich deshalb selbstbewusst in eine Genealogie der „Umdenker“ einschreibt),90 sind Handkes Ambitionen auf eine alternative Form der emphatischen Beschreibung von Literatur gerichtet. Wie die TĂ€tig- keit des Geologen, der „von seiner Wissenschaft“ â€žĂŒberzeugt“ ist, „weil sie ihm half, zu fĂŒhlen, wo er jeweils war“,91 zeichnet sich auch das literaturkritische Schreiben Handkes, das im Folgenden genauer in den Blick genommen wird, ganz wesentlich durch eine selbstreflexive, auf das eigene Dasein gerichtete Suchbewegung aus.92 87 Mixner: Peter Handke (Anm.  10), S.  176. Dazu auch Karl Wagner: Handkes „Der Roman des Lesens“. In: Texttreue. Komparatistische Studien zu einem masslosen Massstab. Hg. v. JĂŒrg Berthold u. Boris PreviĆĄić. Bern u. a.: Lang 2008, S.  173 – 181, hier S.  179: „Es war ihm auch wich- tig, seine Rolle als Gelegenheitsrezensent in frĂŒhen Jahren von den Gattungserwartungen an eine Buchbesprechung fernzuhalten und sie  – zumindest nachtrĂ€glich  – als Geschichte zu prĂ€- sentieren, mit geradezu primitiv-epischem Signalement  [
].“ Dies hat Handke auch hĂ€mische Kommentare eingetragen, etwa 1993 in einem Bericht der SĂŒddeutschen Zeitung anlĂ€sslich der Verleihung der EhrendoktorwĂŒrde der UniversitĂ€t EichstĂ€tt: „Handke liest seine Kollegen so, wie wir BlĂŒmelein auf dem Felde beobachten oder die Vögel am Himmel.“ (J. B.: Der poetische Gelehrte. In: SĂŒddeutsche Zeitung, 10. 5. 1993) 88 Peter Handke: Eine gewaltige Sehnsucht. Zu Arnold Stadler. [1995] In: P. H.: MĂŒndliches und Schriftliches (Anm.  47), S.  82 – 91, hier S.  83. 89 Ulrich von BĂŒlow: Spinoza-LektĂŒren. In: Das stehende Jetzt (Anm.  81), S.  125 – 147, hier S.  140. 90 Handke: Langsame Heimkehr (Anm.  80), S.  18. 91 Ebd., S.  12. 92 Siehe dazu etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Selbstbestimmung Handkes in einem 2000 anlĂ€sslich des Todes von H. C. Artmann gefĂŒhrten Interviews: „Er war der perfekte Artist als Poet. Aber meine Position als Poet, wenn ich ĂŒberhaupt eine habe, ist nicht die des Artisten, sondern die des Forschers. Des StĂŒmpers. Des landwirtschaftlichen Dichters.“ (Heinz Sichrovsky: Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen Literaturkritik238 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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