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Arbeiten ĂŒber Bauer, Bernhard oder Lenz signifikant abweicht.215 Er habe vor,
schreibt Handke am 5.Â
Februar 1975 an Nicolas Born, âetwas ĂŒber Strucks Buch
Die Mutter [zu] verfassenâ, das ihn jedoch, wie er dem befreundeten Autor gesteht,
âziemlich abstöĂtâ; und er setzt in Klammern hinzu: â(ich habe seit langem wie-
der Lust, auch schriftlich, nicht nur so, böse zu sein)â.216 Einen veritablen Verriss
hatte Handke tatsÀchlich schon seit einigen Jahren nicht mehr publiziert. Nach
Abschluss der Rezension bat Handke die Redaktion des Spiegels darum, âmit
der Veröffentlichung möglichst lang zu warten â sollte es vorher Ă€hnliche Mei-
nungen schon geben, brauchte man mein Manuskript nicht zu drucken.â 217 Da
dem offenbar nicht so war, wurde die Besprechung am 17.Â
MĂ€rz 1975 unter dem
Titel Denunziation ohne Wahrnehmung im Spiegel, fĂŒr den Struck selbst wenige
Monate zuvor Franz Innerhofers Schöne Tage rezensiert hatte,218 veröffentlicht.
Seinem Verleger kĂŒndigte Handke die Rezension betont vorsichtig als âeine
bloĂe Analyseâ, âeine Demystifikationâ des Buches an,219 nicht zuletzt deshalb, weil
der RomanÂ
â wie der GroĂteil von Handkes eigenem WerkÂ
â im Suhrkamp Verlag
erschienen war und Unseld groĂen Wert darauf legte, Konflikte zwischen seinen
Autorinnen und Autoren zu vermeiden: âNun ist Karin Struck aber wesentlich
offener dafĂŒr, eine Schriftstellerin zu sein, als die meisten, die sich so bezeich-
nenâ, fĂ€hrt Handke im Brief an Unseld fort, will daraus aber gerade keinen Milde-
rungsgrund fĂŒr die Besprechung ableiten: âSo wollte ich es auch herauskommen
lassen, aber das erschien mir dann als eine Herablassung ihr gegenĂŒber, die sie
nicht benötigt.â 220 Im Vergleich zu frĂŒheren negativen Urteilen ĂŒber BĂŒcher
von schreibenden Kolleginnen und Kollegen, etwa ĂŒber den Wellers hoffâschen
Wochenende-Band, weist Denunziation ohne Wahrnehmung einen anderen metho-
dischen Fokus auf, entzĂŒnden sich Handkes EinwĂ€nde an anderen Aspekten. Zielt
die Rezension von Strucks Die Mutter im Sinne seiner theoretischen und kriti-
schen Arbeiten der 1960er Jahre zunÀchst auf die Reproduktion sprach licher und
narrativer Stereotypen (âdas Höchstpersönliche als Schemaâ 221), bleibt Handke
215 Mixner: Peter Handke (Anm.Â
10), S.Â
208, zufolge stellt Handkes Struck-Rezension â[e]ine sehr
prÀzise Anwendung des aus dem eigenen poetologischen Programm entwickelten kritischen
Verfahrensâ dar. Vgl. dazu auch Struck: Der Begleitschreiber (Anm. 65), S. 20 f.
216 Handke an Born, 5. 2. 1975. In: Born/Handke: Die Hand auf dem Brief (Anm.Â
206), S.Â
9. So auch in
Handke an Unseld, 21. 2. 1975. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.Â
1), S.Â
276: ââDie Mutterâ
hat mich, vor allem beim zweiten Lesen, abgestossen, und so habe ich es auch geschrieben.â
217 Ebd.
218 Vgl. Karin Struck: FĂŒr die Arbeit gezeugt. Ăber Franz Innerhofer: Schöne Tage. In: Der Spiegel,
Nr. 50, 9. 12. 1974, S. 136 â 139.
219 Handke an Unseld, 21. 2. 1975. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 1), S. 276.
220 Ebd.
221 Peter Handke: Denunziation ohne Wahrnehmung. Ăber Karin Struck: Die Mutter. In: Der
Spiegel, Nr.Â
12, 17. 3. 1975, S.Â
147 â 149, hier S.Â
147; auch in: P. H.: Das Ende des Flanierens (Anm.Â
48),
Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen
Literaturkritik264
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471