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akkumuliert hatte, sondern auch als streitbarer Literatur- und Theater kritiker
brachte gleichwohl ein Problem mit sich: Seit er sich in der zweiten HĂ€lfte der
1960er Jahre mit Texten ĂŒber Autorinnen und Autoren, ĂŒber Inszenierungen
und Neuerscheinungen hervorgetan hatte, die in meinungsbildenden Medien
wie der ZEIT oder dem Spiegel erschienen waren, sah er sich mit dem Vorwurf
konfrontiert, er könne als Schriftsteller nicht unvoreingenommen ĂŒber die Werke
anderer Autoren urteilen, weil sich dabei zwangslÀufig ein Rollen konflikt ergebe.
Der âzugleich als Kritiker auftretende Schriftstellerâ 231 sei, wie nicht zuletzt
Reich-Ranicki bei verschiedenen Gelegenheiten Ă€uĂerte, als âSonntagsjĂ€ger der
Kritikâ 232 nicht in der Lage, ausreichend Distanz zum Gegenstand seiner Ana-
lyse zu wahren, weil er dabei eine eigene Agenda verfolge und auĂerdem fĂŒr
Freundschaftsdienste und GefÀlligkeitsrezensionen anfÀlliger sei als ein profes-
sioneller Kritiker: âEin wenig zwielichtig ist es immer, wenn Literaten ĂŒber die
Arbeit anderer Literaten öffentlich urteilen.â 233 Als Beispiel fĂŒr diesen Rollen-
konflikt nennt Reich-Ranicki den von ihm eigentlich sehr geschÀtzten Theodor
Fontane, der in seinen literaturkritischen Arbeiten nicht gezögert habe, âdie
aus seinem eigenen Werk bezogenen Kriterien zur allgemeingĂŒltigen Norm zu
erhebenâ: âMit anderen Worten: Der Romancier kommt hier dem Rezensenten
ins Gehege, derÂ
â bewuĂt oder unbewuĂtÂ
â den eigenen epischen BemĂŒhungen
SchĂŒtzenhilfe leistet.â 234
Seine Position in den einschlÀgigen Debatten hat Handke 1969 in einem
ausfĂŒhrlichen Fernseh-GesprĂ€ch mit Friedrich Luft folgendermaĂen umrissen:
231 Lorenz: Pro domo (Anm. 7), S. 404.
232 Marcel Reich-Ranicki: Der doppelte Boden. Ein GesprĂ€ch mit Peter von Matt. ZĂŒrich: Ammann
1992, S. 18. Die identische Formulierung findet sich in Rolf Becker/Hellmuth Karasek: âIch
habe manipuliert, selbstverstĂ€ndlich!â Kritiker Marcel Reich-Ranicki ĂŒber seine Rolle im
Literaturbetrieb und seinen Abgang von der FAZ. In: Der Spiegel, Nr. 1, 2. 1. 1989, S. 140 â 146,
hier S. 143.
233 Reich-Ranicki: Der doppelte Boden (Anm.Â
232), S.Â
14. Vgl. dagegen Stefan Neuhaus: Dichter
als Kritiker: Schiller und Fontane. In: GroĂe Literaturkritiker. Hg. v. Sigurd Paul Scheichl.
Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2010, S.Â
31 â 41, hier S.Â
41, der argumentiert, dass etwa âSchiller
und Fontane, obwohl oder weil sie in ihrer Doppelfunktion als Autoren und Kritiker agie-
ren, GrundsÀtzliches zum VerstÀndnis des literaturkritischen Prozesses zu sagen haben.
Das bedeutet nicht, dass Autoren die besseren Kritiker sind [âŠ]; aber man kann Autoren
nicht, wegen eines möglichen Rollenkonflikts, die literaturkritische Kompetenz abspre-
chen.â Zum âSchriftsteller als Kritikerâ sowie zur âVerknĂŒpfung der Werkbetrachtung
mit der Reflexion der eigenen literarischen TĂ€tigkeitâ vgl. exemplarisch die Ăberlegungen
von Dirk Göttsche: LiebeserklĂ€rungen und Verletzungen â Zur Literaturkritik von Martin
Walser und Ingeborg Bachmann. In: LiteraturkritikÂ
â Anspruch und Wirklichkeit (Anm.Â
7),
S. 197 â 212, Zit. S. 197.
234 Marcel Reich-Ranicki: Theodor Fontane. Der Profi des kritischen GeschÀfts. [1971] In: M. R.-R.:
Die AnwĂ€lte der Literatur. Stuttgart: DVA 1994, S. 120 â 129, hier S. 127.
Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 267
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471