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âkulturellen RĂŒckwĂ€rtsgangâ 35 eingelegt hatten. Darauf wird im Laufe des vor-
liegenden Kapitels genauer zurĂŒckzukommen sein.
Auch in der Folge hat Bernhard bei verschiedenen Gelegenheiten, freilich
mit ĂŒberschaubarem Erfolg, versucht, die literarische Ăffentlichkeit auf Johannes
Freumbichler und dessen erzÀhlerisches Werk aufmerksam zu machen.36 In
einem Artikel ĂŒber den Dichter aus Henndorf in den Wiener BĂŒcherbriefen â er
gab sich auch hier nicht als dessen Enkel zu erkennenÂ
â bedauerte er 1957 erneut,
dass selbst Menschen, âdie sich heute in Ăsterreich mit Literatur beschĂ€ftigen,
oder vorgeben, das zu tunâ, den Namen Freumbichlers noch nie gehört hĂ€tten:
Das ist durchaus kein Wunder in einer Zeit, in der man sich das Dichten so leicht
macht wie das Nudelwalken, in der man ĂŒber Stifter verĂ€chtlich spricht, ohne ihn
gelesen zu haben, in welcher man Proust bewundert (mit Recht bewundert!), ohne
ihn gelesen zu haben, in welcher man ĂŒberhaupt keine Ahnung hat â jedenfalls auf
der sogenannten literarischen Seite â, was vor Robert Musil und Hermann Broch
passiert ist. Und da ist sehr viel passiert! (TBW 22.1, 573)37
Seine andauernde âErfolgslosigkeitâ habe den Schriftsteller ebenso gequĂ€lt wie
das Bewusstsein âeigene[r] UnzulĂ€nglichkeitâ; Freumbichler habe, so Bernhard
weiter, sowohl âsehr guteâ als auch âsehr schlechteâ BĂŒcher geschrieben, â[v]öllig
danebengegangene und einzig dastehende, unwiederholbare poetische Blöckeâ
(TBW 22.1, 570 f.). Die tiefe Sympathie fĂŒr den âauĂerordentliche[n] Schrift-
stellerâ Freumbichler, der zeitlebens und auch nach seinem Tod vom Literatur-
betrieb âbagatellisiertâ und an den Rand gedrĂ€ngt worden sei (TBW 22.1, 574),
wird hier, Mitte der 1950er Jahre, bereits um deutlich kritischere Töne ergÀnzt.
Bernhard Judex hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Freumbichler-PortrÀt
35 Gert Kerschbaumer: Der kalte Krieg gegen die Moderne. In: G. K./Karl MĂŒller: Begnadet fĂŒr
das Schöne. Der rot-weiĂ-rote Kulturkampf gegen die Moderne. Wien: Verlag fĂŒr Gesellschafts-
kritik 1992, S. 117 â 204, hier S. 121.
36 Zum âWunschâ Bernhards, âden GroĂvater in der Ăffentlichkeit wieder bekannter zu machenâ,
vgl. Judex: Schreiben in der âDenkkammerâ (Anm.Â
6), S.Â
28. Bei Siegfried Unseld hat Bernhard
sich wiederholt fĂŒr eine Neuauflage von Freumbichlers BĂŒchern eingesetzt (vgl. Thomas
Bernhard/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. v. Raimund Fellinger, Martin Huber u. Julia
Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S.Â
523, 525, 640 u.Â
717). Der zunÀchst 1937 im Wiener
Zsolnay Verlag veröffentlichte und 1982 bei Ullstein als Taschenbuch gedruckte Roman Philo-
mena Ellenhub erschien jedoch erst 2009 in einer kommentierten Neuauflage im Insel Verlag.
37 Vgl. Michael Billenkamp: Provokation und posture. Thomas Bernhard und die Medienkarriere
der Figur Bernhard. In: Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur-
und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian
Wolf. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S. 23 â 43, hier S. 28: âBernhards Arbeiten aus den 50er Jah-
ren sind von dem Bestreben gekennzeichnet, das Andenken an den von ihm bewunderten
Freumbichler zu bewahren.â
âZeitungsgâschichtâlnâ: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker282
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471