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in der zeitnah publizierten Anthologie Neunzehn deutsche ErzÀhlungen findet 72
und die in der Folge, wohl ausgehend von diesen ersten Nennungen, zum Stan-
dardrepertoire biographischer Abrisse ĂŒber den Autor gehören sollte.73 Diese
verlagsseitige Informationsvergabe trug mit Sicherheit dazu bei, dass Bernhard
heute als âwohl bekannteste[r] ehemalige[r] Gerichtsreporter[Â
] Ăsterreichsâ 74 gilt.
Bei diversen Gelegenheiten, etwa in einem GesprÀch mit Peter von Becker, hat
sich der Autor zu seiner TĂ€tigkeit als âZeitungsreporterâ geĂ€uĂert und darĂŒber
bereitwillig Auskunft gegeben.75
Der 1989 veröffentlichte, aber bereits Ende der 1950er Jahre entstandene Text
In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn zeigt, dass die Erfahrungen dieser Jahre
ihn in seinen frĂŒhen Prosaarbeiten stark beeinflusst haben â und ihm mit der
Herausgabe des Buches im Residenz Verlag daran gelegen war, diesen Zusam-
menhang offenzulegen. Im Band In der Höhe, einem âeinzige[n] Steinbruch
spĂ€ter aufgegriffener oder fĂŒr immer liegengelassener literarischer Themen und
Motiveâ,76 taucht das Demokratische Volksblatt an mehreren Stellen auf: âFreier
Mitarbeiter am Demokratischen Volksblatt, lache ich aus mir herausâ, heiĂt es
gleich nach wenigen Seiten (TBW 11, 22), bevor die Zeitung in der Folge als
âBrotherr[ ]â des ErzĂ€hlers bezeichnet (TBW 11, 26) und schlieĂlich auch eine
Szene aus dem Gerichtssaal angedeutet wird:
das fĂŒr ein Narr?â MĂŒnchen: PropylĂ€en 2003, S. 164; Mittermayer: Thomas Bernhard [2015]
(Anm. 25), S. 113.
72 Vgl. [Biographische Angaben]. In: Neunzehn deutsche ErzĂ€hlungen. MĂŒnchen: Nymphenbur-
ger Verlagshandlung 1963, S. 354.
73 Vgl. etwa N. N.: Thomas Bernhard. In: Grenzverschiebung. Hg. u. mit einem Nachwort v.
Renate Matthaei. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1970, S. 72.
74 Greite: âProzesse, nichts als Prozesseâ (Anm. 52), S. 95.
75 Peter von Becker: Bei Bernhard. Eine Geschichte in 15 Episoden. In: Theater 1978. Sonderheft
der Zeitschrift Theater heute. Bilanz und Chronik der Saison 77/78, S.Â
80 â 87, hier S.Â
85.Â
â Der
Literaturkritiker Hans Haider, der ein Jahr zuvor an der Skandalisierung von HolzfÀllen als
âSchlĂŒsselromanâ federfĂŒhrend beteiligt gewesen war, machte Bernhard 1985 in der Presse die
fortwĂ€hrende Beschwörung seiner AuĂenseiterposition zum Vorwurf. Zu diesem Narrativ
zĂ€hle, so Haider, nicht nur âdie Entscheidung, nicht mit den wohlgekleideten BĂŒrgerskindern
in einer Reihe zur Schule zu gehenâÂ
â womit er auf das zentrale Narrativ von Der Keller (1976)
rekurriertÂ
â, sondern auch die Betonung âsein[es] Gerichtsberichterstatterdasein[s] im âSalz-
burger Volksblattââ (Hans Haider: Die Stigmatisierten steigen auf. In Ăsterreichs literarischer
Szene gibt es mehr prominente als gelesene Autoren. In: Die Presse, 23. 8. 1985). Es gehört
zu den unfreiwillig komischen Effekten von Haiders Polemik, dass er, indem er Bernhards
angebliche NĂ€he zum âsozialdemokratischen Literaturbetriebâ offenlegen will, das national-
freiheitliche Salzburger Volksblatt mit dem Demokratischen Volksblatt, der sozialistischen
Parteizeitung, verwechselt.
76 Hans Höller: Thomas Bernhard. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1993, S.Â
69. Dazu jetzt ausfĂŒhr-
lich Stefano Apostolo: Thomas Bernhards unveröffentlichtes Romanprojekt Schwarzach St.Â
Veit.
Das Konvolut, die Fassungen und ihre Deutung. Mattighofen: Korrektur 2019, S. 167 â 178.
âZeitungsgâschichtâlnâ: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker292
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471