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Volksblatt nur wenig gemein. WĂ€hrend in Handkes Kritiken immer auch grund-
legende Fragen filmischer Ăsthetik (KamerafĂŒhrung, literarisches vs. filmisches
ErzĂ€hlen, âNatĂŒrlichkeitâ vs. âKĂŒnstlichkeitâ, ReprĂ€sentation auĂerfilmischer Wirk-
lichkeit etc.) und soziologische Aspekte des Kinos verhandelt werden,160 erweist
sich Bernhard in seinen Texten als nicht eben versierter Cineast. Wohl auch
bedingt durch die Vorgaben einer Regionalzeitung 161 formulieren sie landlÀufige
und stereotype Beobachtungen zu den besprochenen Filmen, etwa wenn dem
Hollywood-Film Trommeln in der Nacht (orig. Savage Drums, USA 1951, Regie:
William Berke) am 16. September 1953 bescheinigt wird, dass darin âkeine ein-
zige Aufnahmeâ âechtâ sei:
Eine Anzahl (scheinbar) schöner Frauen flimmert vorĂŒber, es wird geschossen, schlecht
getanzt und Wein getrunken â und alles innerhalb einer öden, zum GĂ€hnen anre-
genden âHandlungâ, die einmal zeigt, wie schwer es heutzutage ist, ein handfestes
Drehbuch-Manuskript auf den Tisch zu bekommen. (TBW 22.1, 249)
Die Bandbreite der Urteile reicht von recht allgemeiner ZustimmungÂ
â âErlebnis
sondergleichenâ (TBW 22.1, 283), âgut und sehenswertâ (TBW 22.1, 296), â[e]iner
der wenigen Filmeâ, die âgut sind und Geschmack beweisenâ (TBW 22.1, 347),
âeine unterhaltsame Filmgeschichte fĂŒr den Sonntagâ (TBW 22.1, 351)Â â bis hin
zu deutlicher Kritik, wenn von âgeballte[r] RĂŒhrseligkeitâ (TBW 22.1, 252) oder
âgrausige[r] Geschmacksverwirrungâ (TBW 22.1, 264) die Rede ist. In Franz
Antels Kaiserwalzer (1953), einem Paradebeispiel der kulturellen Restauration
nach 1945, sieht Bernhard zwar einzelne hervorragende âschauspielerische[Â ]
Leistungenâ, kann dem Film ansonsten aber wenig Positives abgewinnen, âweicht
der Streifenâ doch, so seine ernĂŒchterte Feststellung, âkaum von dem guten
vorhergegangenen Dutzend Liebesfilmen der monarchischen Erzherzoge abâ
(TBW 22.1, 252). Antels nĂ€chstes Werk, Die sĂŒĂesten FrĂŒchte (1954), fĂŒhrte bei
Bernhard schlieĂlich zu noch gröĂerer Verstimmung: âDieser geschmacklose
Mischmasch, der sich in uralten schlechten Witzen erschöpft, kann selbst dem
standhaftesten Kinobesucher den Saft hochgehen lassen.â (TBW 22.1, 360) FĂŒr
manche Filme findet er in seinen Kurzkritiken zwar freundliche Worte â âeine
wirkliche Filmkomödieâ, âdie sich sehen lassen kannâÂ
â, zur Verfilmung von Curt
160 Vgl. etwa Peter Handke: Probleme werden im Film zu einem Genre. In: film 6 (August
1968), H. 8, S. 10; ders.: VorlÀufige Bemerkungen zu Landkinos und Heimatfilmen. In: film
6 (November 1968), H. 11, S. 10 u. 37; ders.: Augsburg im August: trostlos. In: film 7 (Januar
1969), H. 1, S. 30 â 32; ders.: Dummheit und Unendlichkeit. In: film 7 (MĂ€rz 1969), H. 3,
S. 10 â 11.
161 Vgl. Dittmar: Thomas Bernhard als Journalist (Anm. 51), S. 29, wonach âanalytische Kritik in
einer Zeitung wie dem Demokratischen Volksblatt gar nicht erwĂŒnschtâ gewesen sei.
âZeitungsgâschichtâlnâ: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker316
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471