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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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1953.190 WĂ€hrend in der Kunsttheorie der Moderne, wie Boris Groys gezeigt hat, die „Abwertung der bestehenden kulturellen Werte“ ein „notwendiger Aspekt des innovatorischen Gestus“ ist,191 stand der junge Kulturjournalist diesem Konzept anfangs noch denkbar fern. In seinen Feuilletons, Veranstaltungsberichten und volkskundlichen Reportagen sieht er die zentrale QualitĂ€t eines Kunstwerks eben nicht in der „negativen Anpassung an die kulturelle Tradition“,192 sondern in deren entschiedener Fortschreibung: „Zweifellos“ zĂ€hlte er, so Michael Billenkamp mit Blick auf Bourdieus Unterscheidung von ‚Orthodoxie‘ und ‚HĂ€resie‘,193 „zu Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn eher zur Gruppe der Bewahrer als zu den HĂ€retikern.“ 194 In einem Bericht ĂŒber eine Vortragsreihe der Salzburger Volkshochschule vom 23.  April 1954 fallen SĂ€tze, die fĂŒr Bernhards damaliges VerstĂ€ndnis von kultureller Genealogie bezeichnend sind. Es sei, wie der junge Rezensent in etwas altvĂ€terlichem Gestus formuliert, gerade heute von unabschĂ€tzbarer Wichtigkeit, die großen Geister der Vergangenheit in ein neues Licht zu rĂŒcken, und jeden einzelnen von uns mit ihrem Fundament vertraut zu machen. Erst wenn wir einigermaßen die Bedeutung und den Geist der GeschichtstrĂ€ger erfaßt haben, können wir den entscheidenden Schritt in die Gegen- wart und in die Zukunft unternehmen. (TBW 22.1, 362) Bereits im MĂ€rz 1953 hatte Bernhard jedoch anlĂ€sslich einer Lesung von Rudolf Bayr  – mit dem er mehr als zwei Jahrzehnte spĂ€ter ein Fernsehinterview fĂŒh- ren sollte  – auch eine kritischere Perspektive auf die „Geister der Vergangen- heit“ angedeutet.195 Die von Bayr vorgetragenen Texte seien „geschöpft aus 190 Laut Klug: Thomas Bernhards Arbeiten (Anm.  28), S.  148, handelt es sich dabei um einen recht „seltsame[n] Essay, in dem unausgewiesene Tatsachenbehauptungen, Gegenwartsdeutungen und autobiographische, nur die eigene Person betreffende Äußerungen kunterbunt durchein- ander laufen“. 191 Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. MĂŒnchen: Hanser 1992, S.  63. 192 Ebd., S.  19. 193 Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S.  329; ders.: Das literarische Feld. Kritische Vorbemerkungen und methodologische GrundsĂ€tze. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und kĂŒnstlerisches Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4. Hg. v. Franz Schultheis u. Stephan Egger. Berlin: Suhrkamp 2015, S.  309 – 337, hier S.  316; dazu Christine Magerski: Theorien der Avantgarde. Gehlen  – BĂŒrger  – Bourdieu  – Luhmann. Wiesbaden: Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011, S.  85 f. 194 Billenkamp: Thomas Bernhard (Anm.  14), S.  372 f. Vgl. auch ders.: Provokation und posture (Anm.  37), S.  28: „Bernhard betritt die literarische BĂŒhne  [
] nicht, wie es das SpĂ€twerk  [
] vermuten [lĂ€sst], als RevolutionĂ€r und provokanter AvantgardekĂŒnstler, sondern er sieht seine kĂŒnstlerische Heimat in der NĂ€he der orthodoxen Bewahrer heimatlicher Dichtung.“ 195 Vgl. zu diesem Text Mittermayer: „Die brennende hilfesuchende Glut“ (Anm.  31), S.  207, der zudem darauf hinweist, dass Bayr  – ebenso wie Josef Laßl  – „in jungen Jahren“ als Alte Zöpfe, neue Pferde 325 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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