Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Page - 340 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 340 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Image of the Page - 340 -

Image of the Page - 340 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text of the Page - 340 -

Ebenso unabhĂ€ngig von allen ökonomischen RĂŒcksichten ist der pensio- nierte Musikphilosoph und Musikkritiker Reger in Alte Meister (1985). Gleich eingangs wird er von seinem Adlatus Atzbacher als „Musikwissenschaftler im eigentlichsten Sinne des Wortes“ vorgestellt; „mit allen diesen musikfeuille- tonistischen SchwĂ€tzern, wie sie hier tagtĂ€glich in den Tageszeitungen ihren GeschwĂ€tzschmutz ausbreiten“, sei er, so Atzbacher, „nicht zu vergleichen“: „Seit ĂŒber dreißig Jahren schreibt Reger seine Kritiken fĂŒr die Times, diese kleinen musikphilosophischen AufsĂ€tze, die eines Tages sicher in einem Buch gesammelt erscheinen werden.“ (TBW 8, 14)247 In seiner Heimat Wien sei der mittlerweile 82-JĂ€hrige beinahe unbekannt und genieße nicht die ihm gebĂŒhrende Wert- schĂ€tzung: „Davon, daß Reger fĂŒr die Times seine Musikkritiken schreibt, weiß in Österreich niemand, höchstens ein paar Leute wissen davon“; wĂ€hrend man hierzulande Reger kaum wahrnehme, wisse man „in London und in England und selbst in den Vereinigten Staaten“, „um was fĂŒr eine KapazitĂ€t es sich bei Reger handelt“ (TBW 8, 14 f.).248 Von der außerordentlichen „QualitĂ€t“ seiner „Kritiken fĂŒr die Times“, fĂŒr die er bereits „seit vierunddreißig Jahren“ schreibe (TBW 8, 19), ist Reger selbst ĂŒber- zeugt, von der gĂ€ngigen Praxis des Schreibens ĂŒber Kunst im Feuilleton und in den Wissenschaften aber ganz und gar nicht: Die „Kunsthistoriker“ denunziert er als „Kunstvernichter“, die „so lange ĂŒber die Kunst“ reden, „bis sie sie zu Tode geschwĂ€tzt haben“: „Wenn wir einem Kunsthistoriker zuhören, wird uns ĂŒbel, sagte er, indem wir einem Kunsthistoriker zuhören, sehen wir, wie die Kunst, die er beschwĂ€tzt, vernichtet wird, mit dem GeschwĂ€tz des Kunsthistorikers schrumpft die Kunst und wird vernichtet.“ (TBW 8, 23 f.) Er selbst charak terisiert sich in der Folge als universell gebildeter Kritiker, der sein Urteilsvermögen besonders im Vergleich der einzelnen Kunstsparten (Musik, bildende Kunst, Literatur) geschult, dem sein ‚Amt‘ aber zugleich die Freude am Erlebnis der Kunst nach und nach vergĂ€llt habe: Wehe, Sie lesen eindringlicher, Sie ruinieren sich alles, was Sie lesen. Es ist ganz gleich, was Sie lesen, es wird am Ende lĂ€cherlich und ist am Ende nichts wert. HĂŒten Sie 247 Atzbachers Bemerkung verweist nicht zuletzt auf die Dichotomie von ephemerem, schnell der Vergessenheit anheimfallendem Tagesjournalismus auf der einen und bestĂ€ndiger Buchpubli- kation auf der anderen Seite. 248 Die folgende Schilderung von Regers Position im gesellschaftlichen Abseits erinnert nur zu deutlich an Bernhards eigene Stilisierung zum Außenseiter des Literaturbetriebs: „Nur Leute wie Reger, die man an einer einzigen Hand abzĂ€hlen kann in diesem fĂŒrchterlichen Land, ĂŒber- stehen diesen Zustand der Herabsetzung und des Hasses, der UnterdrĂŒckung und der Ignora- tion, der allgemeinen geistesfeindlichen Gemeinheit, der hier in Österreich ĂŒberall herrscht, nur Leute wie Reger, die einen großartigen Charakter haben und tatsĂ€chlich einen scharfen unbestechlichen Verstand.“ (TBW 8, 15 f.) „Zeitungsg’schicht’ln“: Thomas Bernhard als Literaturkritiker340 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
back to the  book Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf