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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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ein luxuriöser und kostspieliger, lebensgefĂ€hrlicher Wurstelprater, und die Regierung ist eine ebenso teure Dummköpfelotterie. Wenn der Vorhang des Staates aufgeht, sehen wir an jedem österreichischen Tag (und also auch am Nationalfeiertag) ein Lustspiel fĂŒr Marionetten. (TBW 22.1, 618) Wenn der Autor hier die politischen Akteure als „Marionetten“ und ihren Wirkungsbereich als Theaterszenerie beschreibt (und damit nicht zuletzt den Unernst des Geschehens betont), greift er zum einen den seit der Antike tra- dierten und in der Literatur vielfach ausgestalteten Topos von der Welt als BĂŒhne auf; in Shakespeares Versen aus der 1603 uraufgefĂŒhrten Komödie As You Like It, „All the world’s a stage, / And all the men and women merely players“, hat er wohl den berĂŒhmtesten Ausdruck gefunden.9 FĂŒr Bernhards Poetik ist die Ineinssetzung von politisch-gesellschaftlicher Wirklichkeit und theatraler Inszenierung von zentraler Bedeutung; immer wieder hat er damit operiert, VorgĂ€nge des öffentlichen Lebens, insbesondere der institutionellen ReprĂ€sentation, als theatralische Handlungen zu beschreiben: „Die Welt ist“, heißt es in Bernhards zweitem Roman Verstörung (1967), „tatsĂ€chlich eine ProbebĂŒhne, auf der ununterbrochen geprobt wird“; die „Menschen“ seien, so der FĂŒrst Saurau, „nichts als Schauspieler, die uns etwas vormachen“ (TBW 2, 146). „Mein erster Theaterbesuch“, erinnert sich das autobiographische Ich im Band Ein Kind (1982) an die Zeit in Seekirchen Mitte der 1930er Jahre, „war mein erster Kirchenbesuch“ (TBW 10, 456 f.)  – auch in Bernhards Auseinander- setzung mit Bruno Kreisky taucht der Topos einer theatralisch organisierten Wirklichkeit noch weitere Male auf.10 Zum anderen aber spielt die pauschale Kritik an der politischen Praxis, an ihren Institutionen und Akteuren aber auch anti-demokratischen Vorurteilen und Einstellungen in die HĂ€nde  – ein Umstand, der Bernhard den Vorwurf einer totalitĂ€ren Schreib- und Geisteshaltung eingebracht hat.11 Sind es in frĂŒheren 9 William Shakespeare: As You Like It  / Wie es euch gefĂ€llt. Englisch  / Deutsch. Übers. u. hg. v. Herbert Geisen u. Dieter Wessels. Stuttgart: Reclam 1981, S.  74. 10 Vgl. dazu umfassend Tim Reuter: „Vaterland, Unsinn“. Thomas Bernhards (ent-)nationalisierte GenieĂ€sthetik zwischen Österreich-Gebundenheit und Österreich-Entbundenheit. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2013, S.  174 – 180. Vgl. dazu, um nur ein weiteres Beispiel unter vielen zu nennen, die Schilderung der RĂŒckkehr Franz-Josef Muraus nach Wolfsegg in Auslöschung (1986): „Das Theatralische des Vorgangs an der Orangerie war mir auf einmal deutlich gewor- den, daß ich einem Theater zuschaue, in welchem GĂ€rtner mit KrĂ€nzen und Buketten agieren. Die Hauptfigur in diesem Theater aber fehlt, habe ich gleichzeitig gedacht, und ebenso, das eigentliche Schauspiel kann erst anfangen, wenn ich auftrete, sozusagen der Hauptdarsteller, welcher aus Rom herbeigeeilt kommt fĂŒr dieses Trauerspiel.“ (TBW 9, 250) 11 Schon Heinz F. Schafroth kritisierte 1977 Bernhards seiner Meinung nach sowohl Ă€sthetisch als auch ideologisch bedenkliche „totalitĂ€re Sprache“ (Heinz F. Schafroth: Die unmögliche und Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard346 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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