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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 347 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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Texten vor allem Bernhard’sche Protagonisten, die sich abschĂ€tzig ĂŒber Demo- kratie und Parlament Ă€ußern  – etwa der Maler Strauch in Frost (1963), der die „Demokratie“ als den „grĂ¶ĂŸte[n] Schwindel“ bezeichnet und seiner anarchistisch grundierten „Abscheu gegen den Staat“ Ausdruck verleiht (TBW 1, 282 u.  324)  –,12 bedient sich hier der Autor selbst dieses bedenklichen Repertoires. Im Juni 1979 attackierte Bernhard in einem Leserbrief an die ZEIT den lang- jĂ€hrigen Bundeskanzler als einen „Salzkammergut- und Walzertito“, der sich zwar mit der LektĂŒre Robert Musils brĂŒste  – Kreisky hatte wiederholt den Mann ohne Eigenschaften als sein ‚Lieblingsbuch‘ genannt 13  –, im Grunde aber nur noch die „Rolle des alternden, selbstgefĂ€lligen Staatsclowns“ spiele: die skeptische Hoffnung. Thomas Bernhard und Wolfgang Koeppen: Nachdenklicher RĂŒck- griff auf die Jugend. In: Die Weltwoche, 19. 1. 1977).  – Im Zuge der Diskussionen um Bernhards Kreisky-Rezension im profil konstatierte der ORF-Intendant Wolf In der Maur, an dem „Jar- gon“, den Bernhard verwende, seien „sowohl die Weimarer Republik als auch die erste österrei- chische Republik zugrunde gegangen“, ja er bezeichnete in einem Statement in den Salzburger Nachrichten Bernhards Polemik gegen Kreisky als „epigonale[n] StĂŒrmer-Artikel“, setzte sie also explizit mit der Rhetorik der nationalsozialistischen Hetzpresse in eins (zit. nach: Sehr geschĂ€tzte Redaktion [Anm.  4], S.  124 u.  130).  – Der deutsche Autor Herbert Rosendorfer hat Bernhard gar einen „Kryptofaschist[en]“ genannt (zit. nach der O-Ton-Sammlung in: Thomas Bernhard  – eine EinschĂ€rfung. Hg. v. Joachim Hoell, Alexander Honold u. Kai Luehrs-Kaiser. Berlin: Vorwerk 8 21999, S.  31). 12 Vgl. etwa Sauraus umfassende Ablehnung staatlicher Organisation in Verstörung (1967): „Meine Lieblingswortzusammenstellung in letzter Zeit, lieber Doktor, ist: Der Staat ist morsch. Alles ist nichts, sage ich zu Huber: die Roten sind nichts und die Schwarzen sind nichts, die Monarchie ist natĂŒrlich nichts und die Republik ist natĂŒrlich nichts.“ (TBW 2, 103 f.)  – Siehe dazu auch die Äußerung des Musikphilosophen Reger in Alte Meister (1985): „Und ĂŒberall dieses ekel- erregende Demokratiegefasel!  [
] An der Spitze unseres Staates stehen Politiker als Staaten- mörder, sagte er, das ist die Wahrheit. Jeder Kanzler und jeder Minister ist ein Staatenmörder und damit auch ein Landesmörder, sagte Reger, und geht der Eine, kommt der Andere, sagte Reger, geht der eine Mörder als Kanzler, kommt schon der andere Kanzler als Mörder, geht der eine Minister als Staatenmörder, kommt schon der andere.“ (TBW 8, 133 f.) Wenn Reger in der Folge die österreichischen Politiker als „Demokratiemißbraucher“ (TBW 8, 134) bezeichnet, deutet sich allerdings an, dass die Polemik sich weniger gegen das demokratische System an sich, sondern vor allem gegen dessen Akteure richtet. 13 Vgl. Wolfgang Petritsch: Bruno Kreisky. Die Biografie. St.  Pölten, Salzburg: Residenz 2010, S.  54, 67 u.  193 f.  – Es wird kolportiert, Kreisky habe im skandinavischen Exil, „kaum des Schwe- dischen mĂ€chtig, damit angefangen, einige Kapitel Musil zu ĂŒbersetzen“ (Rolf Schneider: Das revolutionĂ€re Fragment. Über Robert Musil: Gesammelte Werke. In: Der Spiegel, Nr.  24, 12. 6. 1978, S.  211 – 213, hier S.  211). Vgl. noch ein Interview mit Schneider aus dem Jahr 2013: „Bruno Kreisky, was kaum jemand weiß ist [sic], hat wĂ€hrend seines Exils angefangen, Robert Musil ins Schwedische zu ĂŒbertragen.“ (Adelbert Reif: „Das Identische und das Andersartige“. GesprĂ€ch mit Rolf Schneider. In: Der Standard, 2. 3. 2013) Zu Schneiders BeschĂ€ftigung mit Musil vgl. jetzt Marion Schmaus: Literarische Rezeption. In: Robert-Musil-Handbuch. Hg. v. Birgit NĂŒbel u. Norbert Christian Wolf. Berlin, Boston: de Gruyter 2016, S.  825 – 854, bes. S.  839 – 841. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 347 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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