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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Seit vielen Jahren behauptet unser Bundeskanzler Kreisky bei jeder ihm passend erscheinenden Gelegenheit, er kenne Robert Musil wahrscheinlich besser als irgend- ein anderer Zeitgenosse, weil er glaubt, das beweise sein hohes Geistesniveau, aber es beweist doch nur, daß er ein KleinbĂŒrger ist. (TBW 22.1, 655)14 Der Autor reagierte mit seinem Brief an die Wochenzeitung auf ein seines Erach- tens „blödsinniges Feuilleton“ ĂŒber Kreisky, das kurz zuvor im ZEITmagazin gedruckt worden war; „und das hab’ ich halt widerlegt“, so Bernhard im GesprĂ€ch mit AndrĂ© MĂŒller, „und geschrieben, daß er ein alter seniler Pimpf ist“ (TBW 22.2, 509).15 Erst nachdem sich Bernhard bei MĂŒller beklagt hatte, dass der Leser- brief „in der Versenkung verschwunden“ und wohl aus RĂŒcksicht auf Kreisky „nicht gedruckt“ worden sei (TBW 22.2, 158), rang sich die Hamburger Zeitung zur Veröffentlichung der Polemik gegen den österreichischen „Abonnement- bundeskanzler“ (TBW 22.1, 655) durch. In der Schlusswendung seines Leserbriefs bringt Bernhard einen Aspekt ins Spiel, der in seinen spĂ€teren Attacken gegen Bruno Kreisky eine wichtige Rolle spielen sollte: den Vorwurf, die Politik, die der Sozialdemokrat und seine Partei verfolgten, sei von der ursprĂŒnglichen Idee des Sozialismus lĂ€ngst abgewichen. Bernhard ĂŒberfĂŒhrt seine ohne genauere Argumente auskommende Diagnose in ein Bild aus dem ihm wohlbekannten Lebensmittelhandel: Der Kommis Kreisky, ein echter Nestroy, also eine Figur der Weltliteratur, wenn auch wahrscheinlich nicht der Weltgeschichte, behauptet, er fĂŒhre einen phantastischen Laden, wĂ€hrend er doch ganz genau weiß, daß er bankrott ist und daß die Regale leer sind. Nicht ein einziges Sackerl echten unverfĂ€lschten Sozialismus ist nicht einmal mehr in der untersten Lade. (TBW 22.1, 656) Knapp eineinhalb Jahre spĂ€ter, im November 1980, entwarf Bernhard 16 im GesprĂ€ch mit der ORF-Journalistin Krista Fleischmann spaßeshalber den Plan fĂŒr „ein WeltstĂŒck“, in dem neben zahlreichen anderen prominenten Protagonisten 14 Zu Kreiskys Verwurzelung im intellektuellen GroßbĂŒrgertum und seiner dadurch (sowie durch seine jĂŒdische Herkunft) erschwerten Karriere in der Sozialistischen Partei vgl. Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010. Innsbruck, Wien: Haymon 2011, S.  134 f. 15 Dieser Teil des GesprĂ€chs mit AndrĂ© MĂŒller, dessen gekĂŒrzte Version in der ZEIT vom 29. 6. 1979 gedruckt wurde (vgl. TBW 22.2, 150 – 163), wurde erst nach Bernhards Tod im folgenden Band publiziert: AndrĂ© MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Thomas Bernhard. Weitra: Bibliothek der Provinz 1992, S.  33 – 87. Vgl. den Kommentar in TBW 22.2, 490 – 511. 16 Die Datierung des GesprĂ€chs, das erst am 11. 2. 1981, also erst nach Bernhards Rezension des Kreisky-Bandes, ausgestrahlt wurde, folgt dem Kommentar in TBW 22.2, 514, bzw. der Angabe in: Thomas Bernhard  – Eine Begegnung. GesprĂ€che mit Krista Fleischmann. Wien: Edition S 1991, S.  8. Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard348 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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