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bedenken gegeben, dass sich aus der ErwÀhnung des Kanzlers womöglich recht-
liche Probleme ergeben könnten. Bernhard schwÀchte die inkriminierte Stelle
in der Folge zwar geringfĂŒgig ab, verĂ€nderte die Passage aber bereits in der
zweiten Auflage wieder auf eine schÀrfere Formulierung.90 Ein Jahr spÀter lÀsst
Bernhard den ErzĂ€hler von Der Untergeher darĂŒber rĂ€sonieren, âdaĂ der Kanzler
ein gemeiner, durchtriebener, gefinkelter Mann sei, der den Sozialismus nur als
ein Vehikel fĂŒr seine perversen MachtgelĂŒste miĂbraucht habeâ (TBW 6, 107):
Kein Wort ist mir ekelhafter geworden, als das Wort Sozialismus, wenn ich denke, was
aus diesem Begriff gemacht worden ist. Ăberall ist dieser hundsgemeine Sozialismus
unserer hundsgemeinen Sozialisten, die den Sozialismus gegen das Volk ausnĂŒtzen,
es mit der Zeit so gemein gemacht haben, wie sie selbst sind. Ăberall, wohin wir auch
schauen heute, ist dieser tödliche Gemeinsozialismus zu sehen, zu fĂŒhlen, alles hat er
durchdrungen. (TBW 6, 40 f.)91
Figurenâ, als ânaivâ gelten muss und den ludischen Charakter des Zusammenspiels fiktionaler
und faktualer Genres bei Bernhard verkennt. Am Beispiel der Kreisky-Polemiken ist zu zeigen,
dass Textstrategien und Angriffsobjekte aus frĂŒheren autornahen Statements spĂ€ter in fiktio-
nalen Prosatexten bewusst aufgegriffen werden â ein Verfahren, das bei Bernhard auch in die
entgegengesetzte Richtung zu beobachten ist; am offensichtlichsten und prominentesten dort,
wo er in einem Leserbrief vom September 1985 explizit auf Aussagen des âĂsterreichagitator[s]
und Moralist[en] Reger in meinem Buch Alte Meisterâ rekurriert (TBW 22.1, 682). Vgl. dazu
Götze: âMit allen Anzeichen der Empörungâ (Anm. 55), S. 59 ff.
90 Zu den VerÀnderungen der Kreisky-Passage zwischen Typoskript, Erstausgabe und zweiter
Auflage vgl. den Kommentar in TBW 5, 142 f. u. 147 (dort ein Faksimile der Typoskriptseite),
sowie den Brief von Unseld an Bernhard, 16. 2. 1982. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel
(Anm. 2), S. 655.
91 In diesem Kontext wiegt es besonders schwer, wenn der Bernhard (gerade seit dem HolzfÀllen-
Skandal) nicht eben wohlgesinnte Literaturkritiker Hans Haider 1985 in der Wiener Presse
konstatiert, Bernhard drĂ€nge sich auf, âals Leitfossil der vergangenen 15 Jahre sozialdemo-
kratischen Literaturbetriebs untersucht zu werdenâ: âZeigen sich bei ihm doch Formen gesell-
schaftlichen Wesens Ă€hnlich wie im andersartig, im politisch organisierten Ăberbau. Das Ziel
hieĂ Aufstieg zu Macht, doch einmal erworben, ist sie nicht mehr als Selbstzweck, Spiel gegen
andere MĂ€chtige, Ăberleben im Sacro Egoismo. / Bernhard gleicht manchen, die in seiner
Zeit die Sozialdemokratie in Verruf gebracht haben, aufs Haar. Das sozial stigmatisierte Kind
will hinauf und zielt nach dem Aristokratischen.â (Hans Haider: Die Stigmatisierten steigen
auf. In Ăsterreichs literarischer Szene gibt es mehr prominente als gelesene Autoren. In: Die
Presse, 23. 8. 1985) Haider rĂŒckt Bernhard also in die NĂ€he jener âNadelstreifensozialistenâ
(TBW 22.1, 680), als die der Autor Politiker wie Bruno Kreisky und Franz Vranitzky denun-
ziert hatte (vgl. auch TBW 22.1, 621). Zur Rolle Haiders im Skandal um HolzfÀllen vgl. Franz
Schuh: All you need is love. Notizen und Exzerpte zur (Literatur-)Kritik. In: F. S.: Schreib-
krĂ€fte. Ăber Literatur, GlĂŒck und UnglĂŒck. Köln: DuMont 2000, S. 24 â 114, hier S. 60 f.
The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 371
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471