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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 375 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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ist er als die entscheidende Herausforderung einer ‚Selberlebensbeschreibung‘ bestĂ€ndig prĂ€sent. „Alles Mitgeteilte kann nur FĂ€lschung und VerfĂ€lschung sein, also sind immer nur FĂ€lschungen und VerfĂ€lschungen mitgeteilt worden.  [
] Wir beschreiben einen Gegenstand und glauben, wir haben ihn wahrheitsgemĂ€ĂŸ und wahrheitsgetreu beschrieben, und mĂŒssen feststellen, es ist nicht die Wahr- heit“ (TBW 10, 135), heißt es dementsprechend in Der Keller (1976).99 FĂŒnf Jahre spĂ€ter hat Bernhard im vierten Band der Autobiographie, Die KĂ€lte (1981), sein Misstrauen gegenĂŒber der Vermittlungsleistung von Sprache in Bezug auf eine biographische „Wahrheit“ noch einmal unterstrichen: Die Sprache ist unbrauchbar, wenn es darum geht, die Wahrheit zu sagen, Mitteilung zu machen, sie lĂ€ĂŸt dem Schreibenden nur die AnnĂ€herung, immer nur die verzwei- felte und dadurch auch nur zweifelhafte AnnĂ€herung an den Gegenstand, die Sprache gibt nur ein gefĂ€lschtes Authentisches wider, das erschreckend Verzerrte, sosehr sich der Schreibende auch bemĂŒht, die Wörter drĂŒcken alles zu Boden und verrĂŒcken alles und machen die totale Wahrheit auf dem Papier zur LĂŒge. (TBW 10, 364) Rainald Goetz hat, in einer der hellsichtigsten Besprechungen von Die KĂ€lte, von den „selbstinquisitorischen Zweifeln“ in Bernhards autobiographischen BĂ€nden gesprochen.100 In dem 1981 bei den Salzburger Festspielen uraufgefĂŒhrten Theater- stĂŒck Am Ziel bringt die dominante Mutter, die gemeinsam mit ihrer Tochter die Ankunft eines jungen Dramatikers erwartet, das Problem der UnverfĂŒgbarkeit auf die folgende Formel: „Wenn wir einen Menschen schildern  / und wir den- ken wir schildern ihn so wie er ist  / so haben wir ihn ganz falsch geschildert  / er ist nicht so wie wir ihn schildern“ (TBW 18, 317). Gerade am Beispiel seiner selbstbiographischen Texte hat sich die Bernhard-Philologie  – und insbeson- dere die an der Lebensgeschichte des Autors orientierte Forschung  – mit dem „schwierige[n] VerhĂ€ltnis von RealitĂ€t und literarischer Wiedergabe“ in dessen 99 Vgl. dazu etwa Reinhard Tschapke: Hölle und zurĂŒck. Das Initiationsthema in den Jugend- erinnerungen Thomas Bernhards. Hildesheim u. a.: Olms 1984, S.  148 f. Billenkamp: Thomas Bernhard (Anm.  26), S.  301, hat in diesem Zusammenhang auf eine VerĂ€nderung im Laufe von Bernhards autobiographischem Projekt hingewiesen: „Geht es ihm in den ersten BĂ€nden noch explizit um die wirklichkeitsgetreue Darstellung, um die Schilderung von Wahrheit und AuthentizitĂ€t sowie eine intensive Ursachenforschung, so distanziert sich Bernhard in den nachfolgenden BĂ€nden von diesem Vorhaben und behauptet, dass Wahrheit in der Literatur oder in der Kunst ohne FĂ€lschung und VerfĂ€lschung nicht darstellbar sei.“ Vgl. dazu ebd., S.  297 – 302, sowie die Überlegungen von Till Greite: „Prozesse, nichts als Prozesse“. Thomas Bernhard. Vom Gerichtsberichterstatter zum Fall fĂŒr die Justiz. In: Recht, sachlich. Hg. v. David Oels, Stephan Porombka u. Eberhard SchĂŒtz. Hannover: Wehrhahn 2009, S.  95 – 102, hier S.  99, wonach „authentisches Sprechen bei Bernhard immer schon auf schwankendem Grund steht“. 100 Rainald Goetz: „Wahr ist nur, was nicht paßt“. Über Thomas Bernhards Die KĂ€lte. In: Der Spiegel, Nr.  18, 27. 4. 1981, S.  229 – 232, hier S.  229. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 375 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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