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erneute Bearbeitung des nur vermeintlich âperfekten Körper[s] des Manuskriptsâ 153
seiner eigenen Idealvorstellung von Literatur zumindest angenÀhert zu haben.
Anstatt âden Maulaffen zwischen Hamburg und MĂŒnchenâ 154 Gehör zu schen-
ken, zĂ€hle fĂŒr ihn, so Bernhards vielfach variiertes UnabhĂ€ngigkeitsnarrativ, nur
sein eigener MaĂstab; schlieĂlich sei, wie er im bereits zitierten GesprĂ€ch mit
Peter Hamm betont hat, âniemand so kritisch mit allen meinen Sachenâ wie er
selbst (TBW 22.2, 129).
Wie in anderen FĂ€llen Bernhardâscher Apodiktik wich die Praxis jedoch
deutlich vom postulierten Programm ab. Aller suggestiven Rhetorik zum Trotz
zeigte sich der AutorÂ
â das belegen zahlreiche Berichte von Freunden und Weg-
gefĂ€hrten â keineswegs unberĂŒhrt von der literaturkritischen Rezeption seines
Werks: âEr hat sicher alle Kritiken gelesenâ, bestĂ€tigt etwa Hilde Spiel, âhat sich
sicher furchtbar gekrĂ€nkt ĂŒber die schlechten und die, in denen er miĂverstanden
wurde.â 155 âIch lese sieâ, gestand Bernhard, angesprochen auf die Rezensionen
seiner BĂŒcher und TheaterstĂŒcke, 1976 im MĂŒnchner Merkur:
Isâ ja blöd zu sagen, das interessiert mich nicht. Ich lese alles, was mir irgendwie
erreichbar ist, machâ mir ein Bild. Bin ja net aus Granit oder gehörlos. Ich bin sehr
vital, Gott sei Dank, aber auch ein empfindsamer Mensch ⊠(TBW 22.2, 86)
â[J]eder VerriĂ und jede schlechte Kritikâ hĂ€tten ihm, so Rudolf BrĂ€ndle, den
Bernhard Ende der 1940er Jahre als Patient der St. Veiter Lungenheilanstalt
kennengelernt hatte und mit dem er weiterhin freundschaftlich verbunden
war, âfurchtbar wehgetanâ.156 Auch sein langjĂ€hriger Freund und WeggefĂ€hrte
Wieland Schmied, der bei der Vermittlung von Frost (1963) an den Insel Verlag
eine wichtige Rolle spielte, hat den Autor als in dieser Hinsicht âsehr empfind-
samâ beschrieben: â[D]ie Resonanz seines Schaffens, vor allem die darĂŒber in
den Medien publizierte Meinungâ, habe ihm stets âgroĂe Peinâ bereitet.157 Noch
im letzten ausfĂŒhrlichen Interview mit Asta Scheib hat Bernhard 1987 auf die
Frage, ob er sich ĂŒber Verrisse seiner BĂŒcher Ă€rgere, geantwortet: âJa. Ich falle
auch heute noch in jede Grubeâ, um kurz darauf relativierend hinzuzufĂŒgen: âEs
trifft mich, aber es stört mich in meiner Arbeit nicht mehr.â (TBW 22.2, 336 f.)
Prosa gattungsspezifisch zu verortenâ. â Eine umfassendere Studie zu Bernhards literarischer
âGattungspolitikâ steht einstweilen noch aus.
153 Bernhard an Unseld, 25. 3. 1974. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 2), S. 423.
154 Bernhard an Unseld, 7. 5. 1979. In: ebd., S. 561.
155 Krista Fleischmann: Hilde Spiel. In: K. F.: Thomas BernhardÂ
â Eine Erinnerung. Interviews zur
Person. Wien: Edition S 1992, S. 141 â 150, hier S. 146.
156 Krista Fleischmann: Rudolf BrĂ€ndle. In: ebd., S. 39 â 50, hier S. 48.
157 Schmied: Auersbergers wahre Geschichte (Anm. 47), S. 149.
Vom âStreben nach eigener Billigungâ 389
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471