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Werk. Der an die Zeitung geklammerte, in seinem Ăberleben von ihr abhĂ€ngige
Schauspieler wirkt wie eine Parodie des bei Bernhard vielfach thematisierten
und in Szene gesetzten VerhÀltnisses.
âDie Anerkennung, daĂ er öffentlich bemerkt wird, das war ihm sicher das
Wichtigsteâ, erinnert sich Anfang der 1990er Jahre Franz Josef Altenburg an
Bernhards SensibilitĂ€t fĂŒr die Wahrnehmung seines Schreibens und Auftretens
in der Ăffentlichkeit.172 In diesem Sinne hat der auf seine UnabhĂ€ngigkeit von
kritischen Instanzen pochende Autor in Meine Preise schlieĂlich selbst ein-
gestanden, âzur totalen Selbstbeurteilung [âŠ] nicht fĂ€higâ zu sein (TBW 22.2,
410); der âabsolut selbstkritische[Â ] Zustand als Geisteszustandâ, von dem in
Wittgensteins Neffe die Rede ist (TBW 13, 265), ist vor diesem Hintergrund mehr
ein Wunschbild starker, autonomer Autorschaft denn eine adÀquate Beschrei-
bung einer konkreten schriftstellerischen Praxis. Katrin Kohl hat in einer hell-
sichtigen Studie gezeigt, dass die prÀtendierte Absage an das Publi kum und
dessen BewertungsmaĂstĂ€be fĂŒr das Autorschaftsmodell vieler Schriftstellerin-
nen und Schriftsteller eine eminente Herausforderung darstelle: âWenn nicht die
Orientierung am Publikum, sondern ausschlieĂlich die âinnerenâ Gesetze des
Dichtens und des Kunstwerks als treibende Kraft fungieren sollen, so stehen die
Strategien und Wirkmechanismen des Ruhms in Spannung zum Anspruch und
zur Bestimmung des Dichtersâ, weil das Schielen auf âöffentliche[ ] Anerken-
nungâ bis zu einem gewissen Grad in Widerspruch zur Ablehnung jeglicher
âSelbstvermarktungâ steht.173 In Bernhards poetologischen Kommentaren gerĂ€t
die Vorstellung, es genĂŒge im Grunde, âvon einem Buch nur 1 Exemplar gedrucktâ
zu sehen,174 mit der Idee des universellen âAusstrahlensâ in Konflikt: âWenn Sie
glauben, Sie schreiben ein Buch, Sie schreibenâs nur fĂŒr sich, und das liest die
Omi und der Opa und irgendein blöder Germanist, na, das wÀre zu wenig.
Ausstrahlen, und zwar nicht nur weltweit, sondern universell.â (TBW 22.2, 320)
Das Konzept der âSelbstkritikâ oder der âSelbstrezensionâ, das nicht zuletzt
das arbeitsteilige System des Literaturbetriebs infrage und stattdessen den
Autor selbst als Instanz der Beurteilung in den Mittelpunkt stellt, bildet
172 Krista Fleischmann: Franz Josef und Christa Altenburg. In: K. F.: Thomas Bernhard â Eine
Erinnerung (Anm. 155), S. 111 â 122, hier S. 118.
173 Katrin Kohl: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur.
Berlin, New York: de Gruyter 2007, S.Â
513. Vgl. Huntemann: Artistik und Rollenspiel (Anm.Â
37),
S.Â
27, der mit Blick auf Bernhards Figuren Folgendes festgehalten hat, was bis zu einem gewis-
sen Grad auch auf den Autor selbst bezogen werden kann: âSie verachten zwar die Gesellschaft
und ziehen sich in die Isolation zurĂŒck, sind aber zugleich auf sie als Publikum angewiesen,
insofern sie sich mit ihrer Kunst mitteilen wollen.â â Zum Problem der ErfĂŒllung von Publi-
kumserwartungen fĂŒr âVerfechter eines autonomen Hierarchisierungsprinzipsâ vgl. Bourdieu:
Das literarische Feld (Anm. 43), S. 348.
174 Becker: Bei Bernhard (Anm. 7), S. 84.
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard394
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471