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Ohne den Groll zu erwÀhnen, den ihm negative Kritiken im Laufe der Jahre
beschert haben, beschreibt Thomas Bernhard 1986 im Fernsehinterview mit
Krista Fleischmann, dass er aus Angriffen gegen seine Person stets neue KrÀfte
gewonnen habe: âIch bin immer froh, wenn wer auf mich hinhaut, weil ich dann
dreifach zurĂŒckhauen kann, und das macht einen ja stark. Sonst wĂŒrde man
ja an einem totalen Muskelschwund leiden â jetzt körperlich und auch geis-
tig gesehenâ (TBW 22.2, 312). Mit jener spielerischen Ironie, die sein SpĂ€twerk
und insbesondere die Interviews der 1980er Jahre prÀgt,12 hat Bernhard dies in
weiterer Folge des GesprĂ€chs mit Fleischmann sogar auf Erfahrungen frĂŒhester
Kindheit zurĂŒckgefĂŒhrt:
Wer existiert, muĂ ja irgendwann hinhauen. Sie mĂŒssen sich als Kind ja auch schon
wehren. Kriegen Sâ so ein Kinderspielzeug ins Wagerl geworfen, und wenn Sie das
nicht oft genug der Mutter oder dem Vater, den lÀstigen Leuten ins Gesicht schmei-
Ăen, als Kind, gehân Sâ schon unter, kriegen Sâ Rachitis, und fertig ist es. Das behalten
wir halt bei, als Methode. (TBW 22.2, 312)
Indem Bernhard, sieht man vom offensichtlichen Unernst der zitierten Passage
ab, das Beharren auf dem Eigenen zu einem zentralen Moment im Prozess kĂŒnst-
lerischer KreativitÀt erklÀrt, nimmt er ein Motiv auf, das sich auch in zahlreichen
fiktionalen Texten des AutorsÂ
â und in der Kulturtheorie Harold Blooms 13Â
â findet:
Nur der starke KĂŒnstler (bzw. Forscher) sei in der Lage, sich gegen die literarische
(bzw. wissenschaftliche) Tradition wie gegen die Forderungen und Zumutungen
seiner Schreibgegenwart zu behaupten und den eigenen Weg beharrlich weiter
zu verfolgen. So heiĂt es von einem der Protagonisten der 1978 veröffentlich-
ten ErzĂ€hlung Ja, er gehöre zu jenen Menschen, âdie aus sich selbst und also
allein aus ihrem Talent oder aus ihren Talenten nichts machen können, weil er
ein schwacher Mensch gewesen warâ â ganz im Gegensatz zu âden starken, die
nur allein und immer nur ganz allein ihre Talente entwickeln und in höchste
12 Vgl. dazu etwa Nicolas Pethes: âglauben Sie mirâ. Die Ausweitung der literarischen Kampfzone
in Thomas Bernhards Interviews, Briefen, Preisreden und FeuilletonbeitrÀgen. In: Text + Kritik
(42016), H.Â
43, S.Â
126 â 139, hier S.Â
126 f. Sind bereits die Interviews der 1970er Jahre von assozia-
tiven Wortspielen und âKalauer[n]â geprĂ€gt (Peter Hamm, zit. nach: TBW 22.2, 486), betreibt
Bernhard in den spĂ€teren GesprĂ€chen noch intensiver einen âkompromiĂlosen Abbau des
Auratischenâ (Wendelin Schmidt-Dengler: Vorwort. In: Von einer Katastrophe in die andere.
13Â
GesprÀche mit Thomas Bernhard. Hg. v. Sepp Dreissinger. Weitra: Bibliothek der Provinz 1992,
S. 13 â 18, hier S. 17), indem er die existentielle Dimension des Todes in humoristisch-komische
Bilder ĂŒberfĂŒhrt: âIch redâ ja ĂŒber den Tod wie ein anderer ĂŒber a Semmel.â (TBW 22.2, 155)
13 Vgl. Harold Bloom: EinfluĂangst. Eine Theorie der Dichtung. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 1995,
S.Â
9: âIch beschĂ€ftige mich nur mit starken Dichtern, bedeutenderen Gestalten, die genug Aus-
dauer haben, mit ihren starken VorlĂ€ufern sogar bis auf den Tod zu ringen.â
Kraft durch Feinde: Eine Art
Epilog400
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471