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Wenn ich schreibe trĂ€gt, ist dafĂŒr ein frĂŒhes charakteristisches Beispiel: âWas Jakov
Lind sagt, sagt er halt. Den Fortgang der Literatur wird er nicht aufhalten.â 28 Bei
Bernhard wie bei Handke fĂŒhrte die negative Aufnahme ihrer BĂŒcher in Teilen
des Feuilletons zudem, wenn man ihren entsprechenden Aussagen Glauben
schenken darf, dazu, den eingeschlagenen kĂŒnstlerischen Weg mit noch gröĂe-
rer Beharrlichkeit weiter zu verfolgen: Es gebe, so Handke 1973 im Interview mit
dem Journalisten Christian Schultz-Gerstein, âbestimmte Arten von Verrissen
oder böseren Beschreibungen â die spornen mich anâ.29 Ebenfalls 1973, im Jahr
der Verleihung des renommierten BĂŒchner-Preises, hat Handke in einem aus-
fĂŒhrlichen GesprĂ€ch mit Manfred Durzak die Möglichkeit einer produktiven
Anverwandlung kritischer Reaktionen umrissen:
Sie haben vorhin schon mal gefragt, ob ich von Rezensionen oder irgendwelchen
Analysen beeinfluĂt werde. Ich glaube das schon. In der letzten Zeit hab ich mir vor-
genommen: wenn jetzt wirklich was Geduldiges erscheint, dann will ich das genau
lesen, weil ich selber auch ziemlich ratlos bin [âŠ]. Deswegen les ich doch ziem-
lich genau, was da geschrieben steht und ĂŒberprĂŒf es mit meinen eigenen manch-
mal relativ vagen BefĂŒrchtungen und Unsicherheiten. Und wenn etwas scharf und
bedenklich ist, dann tutâs mir eigentlich ganz wohl: das spornt mich dann an, das
gibt mir dann aus einer gewissen Apathie heraus, die sich sicherlich einstellt durch
eine, wie Sie sagen, Kanonisierung, wieder ein GefĂŒhl von Lebendigkeit, innerhalb
des Sich-als-Schriftsteller-FĂŒhlens.30
In einem 1975 mit Heinz Ludwig Arnold gefĂŒhrten GesprĂ€ch hat Handke kritischen
Rezensionen zudem das Potential eingerÀumt, ihn in Zeiten eigener Unsicherheit
Verteidigung. Aus der Verteidigung heraus bin ich ein guter Angreifer. Ohne Anlass war ich
nie Angreifer. Ich komme immer aus einem GegenstoĂ heraus.â
28 Peter Handke: Wenn ich schreibe. In: Akzente 13 (1966), H. 5, S. 467. Dazu Kap. II, Abschnitt
âEin Buch ârehabilitierenâ?â.
29 Christian Schultz-Gerstein: Erinnerungen fĂŒr die Zukunft. Ein GesprĂ€ch mit dem diesjĂ€hrigen
BĂŒchnerpreistrĂ€ger Peter Handke. In: DIE ZEIT, Nr. 43, 19. 10. 1973.
30 Manfred Durzak: FĂŒr mich ist Literatur auch eine Lebenshaltung. GesprĂ€ch mit Peter Handke.
[1973] In: M. D.: GesprĂ€che ĂŒber den Roman. Formbestimmungen und Analysen. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp 1976, S. 314 â 343, hier S. 329. â Mehr als ein Vierteljahrhundert spĂ€ter hat
Handke in einem Essay in der Wiener Tageszeitung Der Standard eine wichtige Unterschei-
dung zwischen verschiedenen kritischen Positionen getroffen: âIn-Frage-Stellen: Ja! FĂŒr jedes
kĂŒnstlerische Schaffen ist das fruchtbar und gut. Was aber die Journalisten jetzt machen [in
der Berichterstattung zur UrauffĂŒhrung von Die Fahrt im Einbaum] und zusammenschnĂŒren,
das ist kein In-Frage-Stellen, vielmehr Abschaffensdrang.â (Peter Handke: âLaĂt mein StĂŒck in
Frieden!â Kurzer Brief an die âEdelfedernâ des Journalismus. In: Der Standard, 20./21. 3. 1999;
erneut abgedruckt in: Lieber Peymann, GroĂfĂŒrst der SchnĂŒrböden. Dichter schreiben an den
Burgtheaterdirektor. In: Die Presse, 14. 3. 2010) Kraft durch Feinde: Eine Art Epilog 405
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471