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lachhaft fand, in seinen Augen fast so verstiegen wie âKelchschaftââ.49 Zwar habe
ihn Benjamin Henrichsâ Rezension der Wiederholung zunĂ€chst gekrĂ€nkt, nicht
zuletzt, weil dieser einst ein âgetreuer Leser und Kritikerâ seiner BĂŒcher gewe-
sen sei, wie der Autor 1987 im GesprÀch mit Heinz-Norbert Jocks bekannt hat.50
Der 1991 in der ZEIT gedruckte Text Ăber Lieblingswörter legt freilich nahe, dass
Handke bald darauf nicht mehr gewillt war, sich durch einen Einwand wie die-
sen irritieren zu lassen, sondern, ganz im Gegenteil, den ihm âans Herz gewach-
sen[en]â Begriff der âTalschaftâ desto selbstbewusster weiter zu verwenden. In
Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) hat Handke das Wort demonstrativ wieder
aufgenommen, wenn es von Filip Kobal, der hier als literarische Figur erneut
auftaucht, heiĂt, er sei âfĂŒr sein nĂ€chstes Volksbuch zurĂŒckgekehrt in unsere
gemeinsame Talschaftâ, um es mehr als 600 Seiten spĂ€ter noch einmal in den
ErzÀhltext einzuspeisen:
Sonst regnete es im FrĂŒhjahr eine Zeitlang so stark, daĂ einige der ehemaligen BĂ€che,
ohne die es ja nie zu dem ziemlich unĂŒbersichtlichen Netz von Talschaften, oft gera-
dezu Schluchten und SchrĂŒnden, in der Vororte-Landschaft gekommen wĂ€re, aus
der Kanalisation traten [âŠ].51
am Boden vielfach abgeteilter Fluchtraum, fĂŒr den kein Wort so treffend ist wie das eingangs
gebrauchte âTalschaftâ.â (Ebd., S. 148)
49 Peter Handke: Ăber Lieblingswörter. [1991] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesammelte Ver-
zettelungen. 1980 â 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 14 â 15, hier S. 15. Gemeint ist die
Rezension der Wiederholung von Benjamin Henrichs: Der Evangelimann. GlĂŒcksmĂ€rchen,
Wanderpredigt, Lesefolter: Die Wiederholung â Peter Handkes neues Buch. In: DIE ZEIT,
Nr.Â
41, 3. 10. 1986: âDer ErzĂ€hler sieht nicht, er âgewahrtâ; er denkt nicht, er âbedenktâ; wenn er
zurĂŒckdenkt, dann nicht an Kindheit, sondern an âKindschaftâ; wenn er zurĂŒckblickt, dann
nicht ins Tal, sondern in die âTalschaftâ. (Die âKelchschaftâ immerhin erspart er seinem Leser.)â
Vgl. dazu Thorsten Carstensen: Romanisches ErzÀhlen. Peter Handke und die epische Tradi-
tion. Göttingen: Wallstein 2013, S. 12 f.
50 Heinz-Norbert Jocks: Ein MÀrtyrer unter ErzÀhlzwang. Sonntagnachmittag eines Autors. Bei
Peter Handke in Salzburg. In: Stuttgarter Zeitung, 28. 3. 1987.
51 Peter Handke: Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein MĂ€rchen aus der neuen Zeit. FrankfurtÂ
a.Â
M.:
Suhrkamp 1994, S. 159 u. 788. Zwei Jahre darauf ist Handke im Reisebericht Sommer licher
Nachtrag zu einer winterlichen Reise erneut auf den Begriff âTalschaftâ zurĂŒckgekommen und
hat ihn dort als geographischen Fachterminus ausgewiesen. Vgl. Peter Handke: Sommer licher
Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 64. â Zu Handkes
âSelbstzitatenâ vgl. Herwig Gottwald: Von Namen, Augenblicksgöttern und Wiederholungen.
Handkes Umgang mit dem Mythischen. In: Peter Handke. Poesie der RĂ€nder. Hg. v. Klaus
Amann, Fabjan Hafner u. Karl Wagner. Wien u. a.: Böhlau 2006, S. 135 â 153, hier S. 146, sowie
zuletzt Oliver Kohns: Werkimmanente IntertextualitÀt bei Peter Handke. Selbstzitat, -fort-
schreibung, -kommentar und -parodie. In: Die tÀgliche Schrift. Peter Handke als Leser. Hg. v.
Thorsten Carstensen. Bielefeld: transcript 2019, S. 231 â 242.
Kraft durch Feinde: Eine Art Epilog 409
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471