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Lehrpersonen daher als Expertinnen/Experten ernst zu nehmen und zu be-
tonen, dass es darum geht, aus der Praxis und aus ihren Erfahrungen zu lernen,
trug dazu bei, in den qualitativen Interviews eine anregende und vertrauensvol-
le Gesprächsatmosphäre zu erzeugen, in der es keine Redeverbote gab. Ich hat-
te in den Interviews nur sehr selten den Eindruck, sozial erwünschte Antworten
zu hören, und die meisten beobachteten Stunden waren offensichtlich keine
Musterstunden, welche kaum auf die tägliche Unterrichtspraxis Rückschlüsse
zulassen würden.344 Obwohl im Feld im Rahmen der Beobachtung sicher auch
speziell vorbereitete „Musterstunden“ zu sehen waren – z. B. eigens in der Bib-
liothek durchgeführt, mit kritischer Betrachtung von mitgebrachten Schulbü-
chern aus der Zeit des Nationalsozialismus, oder Stunden mit Themen, die sich
nicht logisch in die Stundenabfolge eingliederten –, waren die meisten von uns
beobachteten Stunden tatsächlich relativ einfache Geschichtseinheiten. Zwei
Tage vor dem Feldaufenthalt schrieben wir den Lehrpersonen noch einmal per
E-Mail:
„Bitte bereiten Sie keine besondere Stunde vor, sondern halten Sie Ihre Geschichts-
stunde einfach so, wie auch sonst immer. Es ist ja unser Anliegen, Geschichtsun-
terricht zu sehen, wie er tatsächlich in der täglichen Schulpraxis durchgeführt
wird.“
Oft haben die Lehrer/innen vor der Stunde gemeint, sie hätten jetzt „wirklich“,
so wie ich das wollte, gar nichts Besonderes vorbereitet, sondern sie würden ein-
fach da weitermachen, wo sie aufgehört hätten. Genau das war auch unsere In-
tention. Dass mit den Interviews meist eine Beobachtung kombiniert wurde und
insofern die Stunden als generell „normale“ Unterrichtseinheiten dargeboten
wurden, hatte möglicherweise auch den Effekt, dass die Lehrpersonen in den In-
terviews weniger sozial erwünscht antworteten – das Interview musste ja in ge-
wissem Sinne mit der beobachteten Stunde in Einklang gebracht werden.
Aber nicht nur die Rolle, die der Forschende den Lehrenden zuschreibt,
sondern auch, und natürlich damit eng zusammenhängend, die Rolle, die der
Forscher selbst einnimmt, ist zentral für den Erfolg von qualitativer Feldfor-
schung:
344 Vgl. dazu Bernhard 2018a.
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Buch Von PISA nach Wien - Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis"
Von PISA nach Wien
Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
Empirische Befunde aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften
- Titel
- Von PISA nach Wien
- Untertitel
- Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
- Autor
- Roland Bernhard
- Verlag
- WOCHENSCHAU Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7344-1234-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 284
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht – normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Überzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 Literaturübersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der Literaturübersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenÜberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der Literaturübersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. Abkürzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen für Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277