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Rolle eines Kritikers sollte wÀhrend des Interviews auf keinen Fall eingenom-
men werden.
Qualitative Studien zielen prinzipiell auf das Verstehen der Subjekte ab und
daher sollte auch spĂ€ter die Publikation immer VerstĂ€ndnis fĂŒr die Interviewten
bei der Leserin oder beim Leser hervorrufen.352 Wem es daher um eine Abrech-
nung mit der Lehrerschaft geht, sollte dafĂŒr keine qualitativen Methoden miss-
brauchen. Das wĂ€re 1. ein massiver Vertrauensbruch und wĂŒrde 2. fĂŒr die Ak-
zeptanz zukĂŒnftiger qualitativer Studien in Schulen nicht förderlich sein. âDer
Beobachter hat sich immer so zu verhalten, dass weitere und zukĂŒnftige Beob-
achtungen möglich erscheinen.â353 Im Verlauf der CAOHT/EBAHT-Studie
machte es das Prinzip der Offenheit auch notwendig, das normative didaktische
GebÀude, innerhalb dessen wir als Geschichtsdidaktiker dachten, zu verlassen
(âRelativierung der eigenen kulturellen SelbstverstĂ€ndlichkeitenâ354). Es muss
gesagt werden dĂŒrfen, dass das AbprĂŒfen von Daten und Fakten das Wichtigs-
te im Geschichtsunterricht ist oder dass das kritische Hinterfragen ĂŒberhaupt
keine Rolle spielt (was beides im Rahmen der Interviews vorgekommen ist), oh-
ne dass die interviewende Person in einer bewertenden Weise darauf reagiert.
Die StÀrke qualitativer Settings
â und das unterscheidet sie u. a. auch von quan-
titativen Erhebungsverfahren
â liegt darin, hypothetisch nicht erwartete Verhal-
tensweisen und MeinungsĂ€uĂerungen zu erfassen, die zu weiteren und tieferen
Erkenntnissen fĂŒhren können.355 In einem Interview meinte ein Lehrer: âGe-
schichte ist meiner Meinung auch IdentitÀts- und sozusagen, Nationenbildung.
Oder Nationalismusbildung.â Auch wenn man als Forscher/in diese Meinung
nicht teilt, darf dies fĂŒr die interviewte Person in keiner Weise ersichtlich wer-
den. Es bedarf einer stÀndigen Aktualisierung des Bewusstseins, dass man nicht
ins Feld geht, um zu belehren oder zu kritisieren, sondern um zu lernen und um
zu verstehen.
Auch, und mit dem eben Gesagten zusammenhÀngend, kann die Rolle des
Beobachters und Interviewers als Evaluator im Schulwesen eine Rolle spielen.
In der Ausbildung zur Lehrperson werden beobachtete Unterrichtsstunden des
Ăfteren evaluativ ausgewertet. Der Evaluator erscheint als machtvolle Person,
deren EinschĂ€tzung und Bewertung relevante Folgen fĂŒr die Befragten hat. For-
352 Lamnek 2010, S. 562.
353 Ebd., S.
544.
354 Mayntz, Renate/Holm, Kurt/HĂŒbner, Peter (1974): EinfĂŒhrung in die Methoden der
empirischen Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 88.
355 Vgl. Lamnek 2010, S. 519.
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Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht â normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Ăberzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 LiteraturĂŒbersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der LiteraturĂŒbersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenĂberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der LiteraturĂŒbersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. AbkĂŒrzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen fĂŒr Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277