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mit PISA Diskurse entstanden sind, welche den Lehrpersonen die Verantwor-
tung für die wahrgenommene „Bildungsmisere“ in den deutschsprachigen Län-
dern gaben. In Deutschland und Österreich wurde Kompetenzorientierung nach
dem „PISA-Schock“ Anfang der 2000er Jahre eingeführt. Den allgemeinen
Hype um Kompetenzen aufgreifend, sahen Geschichtsdidaktiker/innen im
deutschsprachigen Raum den Paradigmenwechsel als eine Chance, historisches
Denken stärker im Geschichtsunterricht zu verankern, und machten sich bald
daran, kompetenzorientierte Lehrpläne in diesem Sinne zu entwerfen (siehe Ka-
pitel 2.1). Die Aufbruchsstimmung in diesem Zusammenhang wurde genutzt,
um die Konzepte „historisches Denken“ und „Kompetenz“ zu verknüpfen und
als Lehrplan zu promulgieren. Nun wurde aber von manchen Lehrpersonen die
Kompetenzorientierung an sich abgelehnt und damit auch die historische Kom-
petenzorientierung, obwohl diese in keiner Weise mit PISA-Testungen verbun-
den ist und wohl kaum mit den von manchen als „neoliberal“ empfundenen Strö-
mungen (Stichwort Ökonomisierung der Bildung, Messbarkeit, Anwendung,
Standardisierung437) beschrieben werden kann. Historisches Denken ist kriti-
sches Denken und trifft daher auf die in diesem Zusammenhang geäußerte Kri-
tik für Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht nicht zu. Der Zusam-
menhang zwischen PISA-Testungen und negativen Einstellungen hinsichtlich
Kompetenzen historischen Denkens wird in Abbildung 13 veranschaulicht.
Ein weiterer zentraler Vorbehalt von Lehrpersonen bezieht sich auf den
Eindruck, dass durch die Einführung der Kompetenzorientierung das inhaltli-
che Faktenwissen zu sehr relativiert worden wäre. Der Aufbau von Faktenwissen
und eines chronologischen Grundgerüsts ist Lehrpersonen sehr wichtig im Zu-
sammenhang mit ihrem Geschichtsunterricht. Daher wird die Sorge, dass Kom-
petenzen in einer zu starken Weise das Wissen verdrängen könnten, von zahl-
reichen Lehrpersonen ins Treffen geführt. AHS-Lehrpersonen befürchten in
diesem Zusammenhang eine Inhaltslehre in den mündlichen Reifeprüfungen im
Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung. Es gibt unter Lehrperso-
nen die Befürchtung, dass in diesem Zusammenhang von den Schülerinnen und
Schülern nur mehr wenig fundierte Meinungen als Antworten in den Reifeprü-
fungen erwartet würden. Dieser Zusammenhang und die Frage nach Wissen vs.
Kompetenzen wird im Fazit noch ausführlich besprochen werden, da er für die
vorliegende Studie zentral ist.
437 Vgl. Behtke, Hanna (2017): Die Trauer der Universitäten. Ökonomisierung der Bildung.
In: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/die-erste-inkompetenzkonferenz
-in-frankfurt-15100595.html (zuletzt aufgerufen am 31.1.2019).
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Von PISA nach Wien
Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
Empirische Befunde aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften
- Titel
- Von PISA nach Wien
- Untertitel
- Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
- Autor
- Roland Bernhard
- Verlag
- WOCHENSCHAU Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7344-1234-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 284
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht – normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Überzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 Literaturübersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der Literaturübersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenÜberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der Literaturübersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. Abkürzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen für Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277