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Das Aufbrechen von binären Optionen hinsichtlich Lehren und Lernen scheint
mir im Zusammenhang mit der Lehrer/innenbildung und der Bildungspolitik
wichtig zu sein. Die Vertreter/innen der Geschichtsdidaktik und andere Stake-
holder im Bereich der Bildung könnten sich in diesem Sinne die Frage stellen,
ob die Kommunikation mit der Neubewertung von Faktenwissen im Rahmen
der EinfĂĽhrung der Kompetenzorientierung ideal gelaufen ist. Wird die Bedeu-
tung von Wissen zu stark relativiert, könnte die Gefahr bestehen, dass angehen-
de Lehrpersonen der eigenen Wissensaneignung im Sinne der Beherrschung des
Schulcurriculums487 (oder wie Resch es nennt, das „vertiefte Schulbuchwissen“488)
zu wenig Bedeutung beimessen. Zahlreiche internationale Studien belegen, dass
das inhaltliche Wissen von Lehrkräften im Sinne einer Beherrschung des Schul-
curriculums eines der zentralen Erfordernisse fĂĽr qualitativ hochwertigen Un-
terricht darstellt. In einer von fĂĽhrenden Wissenschaftlern publizierten Meta-
analyse zu gutem Unterricht heißt es: „The most effective teachers have deep
knowledge of the subjects they teach, and when teachers’ knowledge falls below
a certain level it is a significant impediment to students’ learning.“489
Eine Geringschätzung des Faktenwissens, das jaÂ
– wie von zentralen Vertre-
terinnen und Vertretern des Kompetenzmodells in Ă–sterreich erkannt wird490Â
–
als Arbeitswissen eine wichtige Rolle im Geschichtsunterricht spielt, sollte mög-
lichst vermieden werden. Es ist meine Überzeugung, dass eine Geringschätzung
von Wissen, in welcher Art auch immer, nicht zu den intendierten Ergebnissen
führt – dass sich nämlich Lehrpersonen mit Freude den Kompetenzen zuwen-
denÂ
–, sondern den gegenteiligen Effekt zeitigt, der in der kopfschüttelnden Ab-
wendung eines Teiles der Lehrpersonen von den Neuerungen, die sie als „praxis-
fern“ (I-A1) empfinden, besteht. Dabei muss freilich darauf geachtet werden,
dass angehenden Lehrpersonen bewusst wird bzw. bleibt, dass Faktenwissen al-
leine nie eine hinreichende Bedingung fĂĽr guten Unterricht darstellen kann.491
In einer empirischen Studie in den USA zeigte beispielsweise Martell, dass bei
487 Im neuen österreichischen Lehrplan ist dieses schulcurriculare Wissen ohnehin sehr stark
um das konzeptuelle und epistemische Wissen herum organisiert.
488 Resch, Mario (2017): Effektive Kompetenzdiagnose in der Lehrerbildung (EKoL)Â
– the-
oretische Modellierung und empirische Erfassung von fachdidaktischem Wissen und
Können bei angehenden Geschichtslehrkräften. Online unter: https://www.gdt-eich
staett.
de/wp-content/uploads/2017/12/Resch_Keynote_2017.12.18.pdf (zuletzt aufgerufen
am 1.10.2020).
489 Coe u. a. 2014, S.Â
2.
490 Ammerer 2012; KĂĽhberger 2012.
491 Vgl. McDiarmid 1994, S. 180.
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Buch Von PISA nach Wien - Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis"
Von PISA nach Wien
Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
Empirische Befunde aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften
- Titel
- Von PISA nach Wien
- Untertitel
- Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
- Autor
- Roland Bernhard
- Verlag
- WOCHENSCHAU Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7344-1234-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 284
- Kategorie
- LehrbĂĽcher
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht – normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Ăśberzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 LiteraturĂĽbersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der LiteraturĂĽbersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenĂśberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der LiteraturĂĽbersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. AbkĂĽrzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen fĂĽr Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277