Seite - 23 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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23Thematische,
räumliche und zeitliche Einordnung
Konflikte? Und welche wurden für die makrogeschichtlichen Erklärungen,
für die »Meistererzählungen« in den städtischen Diskursen, von den natio-
nalistischen oder kirchlichen Akteuren herangezogen?
1.1.2 Innerkatholische Gewaltmomente im Kontext
der »Nationalitätenfrage«
Im Mittelpunkt meiner Untersuchungen stehen gewaltbefrachtete Konflikt-
fälle aus der ländlichen Umgebung größerer Städte des oberadriatischen
Raumes. Auch wenn sie sich im kirchlichen Bereich ereigneten, waren sie
nicht religiös motiviert. Die Akteure in den Gewaltmomenten beanspruch-
ten für sich keine religiös richtige Position
– wie es in Fällen religiöser Gewalt
zu beobachten ist13 –, und sie rechtfertigten sich nicht mit religiösen Leh-
ren.14 Die Konflikte entstanden unter demselben Transzendenzhorizont: Die
religiöse Lehre wurde nicht an sich verworfen, und keine andere religiöse
Überzeugung wurde angestrebt. Die Gewalt wurde weder im Namen des
Katholizismus noch gegen den Katholizismus oder eine andere Konfession
ausgetragen.
Die lokalen Konfliktakteure wollten unter demselben römisch-katholi-
schen Glauben bzw. in derselben kollektiven Sinnstiftung des Katholizismus
die Symbole und die Rituale der Kirche mehr mitgestalten und -bestimmen
können. In den Konflikten wurden daher vor allem die Repräsentanten der
Amtskirche zur Zielscheibe: Priester wurden angegriffen, Bischöfe ausge-
buht, kirchliche Zeremonien und Symbole abgelehnt. Es kam aber nicht
zu Konflikten unter den katholischen Kirchengängern oder mit Menschen
anderer Konfessionen. Auch wenn etwa serbischsprachige Orthodoxe, italie-
nisch- oder ungarischsprachige Juden in der Nähe lebten, waren sie nicht von
der Gewalt betroffen. Andersgläubige spielten keine Rolle, weil sie außerhalb
des Referenzraumes, das heißt der katholischen Kirche, standen.
In einigen Fällen wandten sich die Menschen zwar von der Organisation
oder den institutionalisierten Formen der katholischen Kirche ab, indem sie
etwa »zivile Taufen« einführten oder ihren Austritt deklarierten. Sie handel-
ten aber nicht aus einer anderen religiösen Überzeugung heraus, sondern
13 Zum Überblick über die Theorien bezüglich der Gewalt und Religion (Glaube)
siehe
u. a. Eveline G.
Bouwers, Glaube und Gewalt. Ein Beziehungsgeflecht auf dem
Prüfstand, in: Dies. (Hg.), Glaubenskämpfe. Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhun-
dert, Göttingen 2019, S. 13–38, hier S. 25–33.
14 Zum Verständnis der »religiösen Gewalt« als einer im Namen einer Religion durch-
geführten Gewalt siehe u. a. Reinhard Schulze, Islamischer Puritanismus und die
religiöse Gewalt, in: Christine Abbt / Donata Schoeller (Hg.), Im Zeichen der Reli-
gion. Gewalt und Friedfertigkeit in Christentum und Islam, Frankfurt a. M. / New
York 2008, S. 34–56, hier S. 44.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303