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126 Österreichisches Küstenland
versuchte sie gleichzeitig, besonders unter dem Triestiner Bischof Franz
Xaver Nagl, die lokalen Partikularitäten bezüglich religiöser Rituale, Prakti-
ken (usw.) zu verdrängen, was ebenso zu Konflikten führen konnte.
3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest
3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der
sprachkulturellen Grenze zu Triest
Ein junger, slowenischsprachiger Priester wurde im Herbst 1906 in ein win-
ziges Dorf unweit der österreichischen Adriametropole Triest entsandt, um
die dortige aufbegehrende Bevölkerung zu beruhigen und mit der katholi-
schen Kirche zu versöhnen. Was er aber an Weihnachten diesen Jahres erle-
ben musste, übertraf sogar seine schlimmsten Befürchtungen. Jakob Ukmar
wollte alle Häuser in Ricmanje167 und im benachbarten Log besuchen: In
den meisten Familien stieß er auf Ablehnung. Mal wurde er als »hässlicher
Zigeuner«, mal als »Teufel« beschimpft. In einigen Häusern schlugen die
Menschen die Türe zu: Sie hätten keinen katholischen Priester gebraucht,
weil »ein orthodoxer Geistlicher uns segnen kommt«.168 Don Ukmar war
traurig und enttäuscht nach einem solchen Tag:
Endresultat: Soviel Hohn und Spott, wie an dem Tag [der Weihnachten] werde ich
wohl ein ganzes Jahr in Ricmanje nicht mehr einstecken. […] In vielen Häusern wies
man mir unter Fluch und Schimpf die Tür, in einigen Häusern lachten sie mich aus, in
einigen Häusern blieb die Familie auf meinen Gruß stumm, wieder andere antworte-
ten höflich, in neun Fällen wurde ich sehr freundlich aufgenommen und segnete die
Wohnung ein.169
167 Das Dorf war ausschließlich slowenisch bewohnt, daher ist es angebracht, nur
den slowenischen Namen – statt des italienischen San Giuseppe della Chiusa – zu
benutzen. Auch die zeitgenössischen italienischsprachigen Dokumente, Zeitungs-
artikel, Berichte benutzten nur den slowenischen Namen des Dorfes, ab und zu
wurde Rizmanje – nach deutscher Rechtschreibung – geschrieben. Auch bezüglich
der anderen im Text vorkommenden Nachbardörfer (Dolina, Boljunec, Log usw.)
verwende ich ihre slowenischsprachigen Namen. Die italienischsprachigen Namen
wurden erst während und nach dem italienischen Faschismus durchgesetzt. Weil
die Gegend bis heute slowenischsprachig geprägt ist, haben die Dörfer um Triest
das Recht, die slowenischen Ortsnamen – nebst den italienischen – anbringen
zu dürfen.
168 Eintrag am 24. Dezember 1906 im Annales Ricmanienses (weiter: Annales), in:
Župnijski arhiv v Ricmanjih / Archivio parocchiale di Ricmanje (Pfarrarchiv in
Ricmanje, weiter: ŽAR) [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
169 Brief von Don Ukmar (28. Dezember 1906), in: ADT, GP, 1906/82.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303