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253Erfolgschancen
der lokalen Akteure
katholischen Kirche 1910 / 1911 aufgegeben worden war, richtete sich weniger
Aufmerksamkeit auf das kleine Dorf, obwohl sich Gewaltmomente wie davor
weiterhin ereigneten.
In Ungarn hingegen stellte der »Nationalitätenkonflikt« nicht die Basis
für eine dynamische politische Öffentlichkeit. Ungarn bot keinen Raum für
die Artikulation nationaler oder sozialer Interessen, die ungarische Poli-
tik war von einer ungarisch-magyarischen Elite bestimmt, die nicht nur
die Nationalitäten, die bis 1900 die Mehrheit der Gesamtbevölkerung aus-
machten, sondern auch weite Teile der ungarischsprachigen Bevölkerung
(Arbeiter, Bauern) bis zum Ende der Donaumonarchie etwa durch die dezi-
dierte Ablehnung jeglicher Öffnung des Wahlrechts aus dem politischen
Leben ausschloss.36
Diese Strategie hing auch damit zusammen, dass sich der Staat in Ungarn
aktiv an der »Nationalisierung« der Öffentlichkeit beteiligte. In einem sol-
chen Kontext wurden die »Nationalitätenkonflikte« nicht um die lokale
Macht »ausgefochten«, die im zentralisierten Ungarn sowieso kaum Bedeu-
tung hatte. In den lokalen »Nationalitätenkonflikten« ging es nicht um die
lokale Machtstruktur und Deutungsmacht, sondern vielmehr um die lokale
Wahrnehmung (Akzeptanz oder Ablehnung) der ungarischen Staatsidee.
Gegen die nationalisierenden staatlichen Elitendiskurse formierten sich die
Elitendiskurse der Nationalitäten. Innerhalb einer »nationalen« Öffentlich-
keit stellten diese nationalistischen Elitendiskurse das »Zentrum« dar. Der
»Nationalitätenkonflikt« war insofern nur eine Strategie der jeweiligen Zent-
ren – sei es die magyarische Staatselite oder die nationalistischen Agitatoren
der jeweiligen Nationalitäten –, sich von oben her zu behaupten. Die lokale
Ebene wehrte sich reaktiv dagegen – wie es sich in den Konflikten in Lika-
Krbava oder Drenova beobachten ließ –, und deswegen zeigte sich vollkom-
menes Unverständnis und Desinteresse dem nationalistischen Vokabular
gegenüber, was von den nationalistischen Akteuren als Beweis für die »natio-
nale Indifferenz« der ländlichen Bevölkerung herangezogen werden konnte.
5.2.2 Antihierarchische (soziale) Gewalt
Wie lassen sich die entstandenen gewaltbefrachteten Konflikte – als Hand-
lungen und nicht von ihrer Wahrnehmung her
– charakterisieren? Einerseits
waren sie sehr unterschiedlich. Was diese Fälle zu einem »historischen Phä-
nomen« zusammenfügte, waren die externen (zeitgenössischen wie histori-
ographischen) Erklärungen. Erst in diesen erschienen all die Konflikte als
»Unterkapitel« desselben Phänomens: der ethnisch-nationalen Spaltung des
36 Cohen, Nationalist Politics, S. 275.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303