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90 Österreichisches Küstenland
nationalistische Akteure die katholische Kirche als »nationalen Besitz« des
Südslawentums betrachteten, lehnten italienisch-nationalistische Akteure
die katholische Kirche als einen »südslawischen Raum« ab.
In diesem Kapitel werden mehrere Fälle geschildert. Im Gegensatz zu den
Kapiteln 3.2, 4.1 und 4.2, wo immer ein Fallbespiel ausführlich erzählt wird,
kommen in diesem Kapitel unterschiedliche, oft sehr kurze Konfliktge-
schichten vor, an denen sich dennoch Tendenzen und tiefere Konfliktgründe
erarbeiten und aufzeigen lassen. Die Nationalitäten- und Sprachenfrage zog
sich dabei wie ein roter Faden durch die Fallbeispiele. Dieser rote Faden war
allerdings möglich, weil Einzelheiten, persönliche Motive und lokal ver-
wurzelte, unpolitische Gegebenheiten, die die nationalisierten Konflikte
erst auslösten, in den makrogeschichtlichen Wahrnehmungen ausgeblendet
wurden – diese gilt es, in der Konfliktbeschreibung ereignisgeschichtlich
nachzuzeichnen (Kapitel 3.1.2). Nach der Rekonstruktion einzelner Kon-
fliktbeispiele wird in einem nächsten Schritt versucht, die Hintergründe des
nationalen Vokabulars (Nationalisierung der »Stadt«-»Land«-Konkurrenz,
Elitenangst vor sozialer Emanzipation der benachteiligten, meist südsla-
wischen Bevölkerungsteile, Verschleierung eigentlich antiklerikaler Posi-
tionen usw.) herauszuarbeiten (Kapitel 3.1.3). Dabei stellt sich die Frage
im Allgemeinen, wie die katholische Kirche, deren Klerus ähnlich multi-
ethnisch war, und das lokale Kirchenleben auf die Tendenz national moti-
vierter (oder interpretierter) Konfliktfälle reagierten. In der historischen
Kontextualisierung zu diesem Unterkapitel steht insofern das supranatio-
nale Selbstverständnis der kirchlichen Obrigkeit in Istrien im Vordergrund
(Kapitel 3.1.4).
3.1.1 Istrien: Ethnische Vielfalt und
religiöse Homogenität
Istrien war ein Grenzgebiet an der adriatischen Peripherie von Österreich.
Die Halbinsel befand sich jahrhundertelang in der Kontakt- und Kampf-
zone zwischen venezianischen und habsburgischen Interessen, sie war bis
zum Untergang der venezianischen Republik zwischen der Serenissima und
dem Habsburgerreich aufgeteilt.13 In der Selbstwahrnehmung der Bewohner
wirkte bis zum Ende der Donaumonarchie nach, ob sie aus dem veneziani-
schen (eher lateinisch-mediterran geprägten) oder dem habsburgischen (eher
13 Vgl. u. a. D’ Alessio, Il cuore conteso, S. 39ff.; über die Anfänge der venezianischen
Herrschaft in Istrien siehe u. a. Miroslav Bertoša, Mletačka Istra u XVI i XVII
stoljeću. I.: Kolonizacija (Teme i problemi) [Venezianisches Istrien im 16. und
17. Jahrhundert. I.: Kolonisierung (Themen und Probleme)], Pula 1986, S. 45ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303