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130 Österreichisches Küstenland
3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei
bis zum Kampf gegen die Kirche
Im September 1898 kam ein neuer Kaplan in Ricmanje an: Dr. Anton Požar
(1861–1933) (siehe Abbildung 3) diente zuvor als Pfarrer im nordost-istriani-
schen Dorf Passo / Paz. In Ricmanje trat der in Graz promovierte Jurist eine
Kaplanstelle an,182 was als Karriererückgang zu betrachten ist.
Laut einem späteren Bericht habe Don Požar nach seinem Ankommen
in Ricmanje die Gottesdienste sofort »in slawischer Sprache« zu lesen ange-
fangen.183 Ob damit die altslawische oder die moderne slowenische Sprache
gemeint war, ist nicht klar. Er konnte immerhin die Wortführer in Ricmanje
für das Thema gewinnen: Schon im März 1900 trugen sie in einem Brief
den Wunsch vor, altslawische Messen zu haben.184 Ihr Wunsch wurde aber
nicht beachtet, und das Bistum von Triest erlaubte ihnen nicht – zumindest
offiziell – die Verwendung der altslawischen oder slowenischen Sprache in
der Liturgie. Im August 1900 erreichte ein slowenischsprachiges Schreiben
aus Ricmanje das Triestiner Bistum: Mit der Unterschrift von einem gewis-
sen Peter Herščak – dessen Unterschrift vom Schreibstil des ganzen Textes
abweicht; es ist also zu vermuten, dass nicht er den Text niederschrieb –
wurde mitgeteilt, dass die Dörfer Ricmanje und Log »aus dem römisch-
katholischen Ritus« ausgetreten seien. Das Schreiben betonte, dass es nur um
einen Wechsel des Ritus ginge: »wir bleiben ansonsten in der heiligen katho-
lischen Kirche, aber wir treten in die griechisch-katholische Kirche über«.185
Die griechisch-katholische Kirche ist eine mit Rom unierte Kirche. Auch
wenn ihre religiösen Praktiken mit jenen der Orthodoxie nahezu identisch
sind, stellt die griechisch-katholische Kirche einen Ritus innerhalb der
katholischen Kirche dar. Sie ist von Rom nicht losgelöst. In der Habsburger-
monarchie gehörten größere Teile der ukrainisch- und rumänischsprachigen
Bevölkerung zu dieser Kirche. Ein uniertes Bistum existierte im kroatischen
Križevci.186 Kroatien gehörte zwar staatsrechtlich zur ungarischen Reichs-
hälfte der Habsburgermonarchie, weswegen der dortige Bischof aus der
182 Seinen tabellarischen Lebenslauf siehe in: ŽAR, Fascicoli di sacerdoti: Angel
Kosmač (Dossiers der Pfarrer: Angel Kosmač, weiter: Kosmač), fasc.
6 [keine weitere
Nummerierung].
183 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec über die Vorge-
schichte des Konfliktes an die Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper
(17. Februar 1906), in: AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 468.
184 Slowenischsprachiger Brief der Dorfbewohner Peter Herščak, Ivan Zerjan und Josip
Mavers an das österreichische Kultusministerium (eingetroffen am 7. März 1900),
in: Ebd., b. 170, fol. 624ff.
185 Brief aus Ricmanje an das Bistum (8. August 1900), in: ADT, Gestione Ordinare
(Allgemeine Verwaltung, weiter: GO), 1900/2139 [übersetzt aus dem Slowenischen
von mir].
186 Zur Geschichte des Bistums von Križevci, siehe auch Pirigyi István, A magyarors-
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303