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168 Österreichisches Küstenland
und andere nationalistische oder antiklerikale Agitatoren konnten diese Si-
tuation ausnutzen, um das Dorf institutionell von der katholischen Kirche
abzukoppeln. Die Klerikalisierung verfehlte insofern ihr Ziel.
3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung
ländlicher Katholiken
Rogers Brubaker spricht bezüglich der Religionen von einer »Pluripotentia-
lität«: Die Religion kann gleichzeitig als integrativer und unterscheidender
(polarisierender) Faktor wirken, weil die Andersartigkeit durch die Reli-
gion sowohl aufgehoben als auch erst recht konstruiert werden kann.355 Die
Gleichzeitigkeit mehrerer katholischer Völker im Österreichischen Küs-
tenland hätte einen religiös begründeten Nationalismus – also eine religiös
begründete Andersartigkeit – eigentlich nicht zugelassen. Eine narrative
Konstruktion solcher Andersartigkeit war dennoch möglich, indem sich etwa
die »Kroaten« und die »Slowenen« – im Gegensatz zu den liberalen »Italie-
nern« – als die katholischen Völker der Region inszenierten. Der kroatische
und slowenische Nationalismus vertrat die Ansicht, dass die katholische Reli-
gion das unabdingbare Wesen des Kroatentums / Slowenentums ausmache,
weil der Liberalismus nur den bereits dominierenden »Italienern« das »nati-
onale Erwachen« garantiere. Die kleineren Völker sollten sich gemäß dieser
Auffassung mehr auf ihre religiöse Zugehörigkeit als kohäsives Element der
Nation berufen, auch wenn ihre Religion eigentlich univer salistisch war.356
Je nachdem, ob sich die lokale Ebene behaupten oder gegenüber den
Selbstbehauptungen von oben beschützen wollte, lässt sich die Gewalt, wel-
che die lokalen Konflikte innerhalb der katholischen Kirche begleitete, kate-
gorisieren. Charles Tilly unterscheidet zwischen konkurrierenden, reaktiven
und proaktiven Ansprüchen, die sich in den kollektiven Handlungen mani-
festieren konnten.357 Im österreichischen Teil waren vor allem konkurrie-
rende und proaktive Ansprüche in den lokalen Kirchengemeinden anzutref-
fen: Konkurrierende Aktionen erheben den »Anspruch auf Ressourcen, die
ebenfalls von anderen Gruppen beansprucht werden«.358 Die »Ressourcen«,
um welche in den geschilderten Konfliktfällen ab und zu sogar gewalttä-
tig konkurriert wurde, stellten der Raum, die Sprache und die Autorität der
Kirche dar. Auch die nationalistischen Agitatoren maßen all diesen »Gegen-
ständen« hohe Bedeutung bei: Die Kirche konnte für die nationalpolitische
355 Brubaker, Religious Dimensions of Political Conflict, S. 8.
356 Strecha, »Sve za vjeru i domovinu«, 1996, S. 97.
357 Charles Tilly, Hauptformen kollektiver Aktionen in Westeuropa 1500–1975, in:
Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 153–163, hier S. 153ff.
358 Ebd., S. 153.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303