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70 Imperium, Nation und Katholizismus
tholische Bedrohung wahr.62 Das antiungarische und antisemitische Ressen-
timent als politisches Programm erschien in Kroatien erstmals während des
Wahlkampfes von 1897, als sich die nationalistische Opposition als klerikale
Kraft gegen eine mögliche Einführung der Zivilehe hetzte.63
Die nationalliberalen Kreise in Kroatien fühlten sich dabei eingeengt zwi-
schen einem liberalen, aber ungarisch-nationalen und angeblich »jüdisch«
geprägten Ungarn und einem klerikalen, katholischen, aber supranational
geprägten Österreich, weil beide Mächte die »Kroaten« – wie es auf einer
Karikatur in der Zagreber Satirezeitschrift Trn dargestellt wurde64
– ausnut-
zen würden. Auf der oberen Spalte der Karikatur fährt zuerst eine typisch
»jüdisch« dargestellte Person einen »Kroaten« mit der Kutsche »Zivilehe«
(»civilni brak«) an die Wand (dabei schiebt eine typisch »ungarisch« geklei-
dete Person die Kutsche an); auf der unteren Spalte fährt ein österreichischer
Soldat einen anderen »Kroaten« mit der Kutsche »Reaktion« (»reakcija«) an
die Wand. Diese Karikatur drückt plastisch aus, wie in der national-opposi-
tionellen Öffentlichkeit von Kroatien-Slawonien über die zwei Reichshälften
gedacht wurde.
2.2 Katholizismus und Nation
Die unterschiedlichen Staats- und Nationskonzepte, die in den zwei Reichs-
hälften der Donaumonarchie vorherrschten, bestimmten auch den Stellen-
wert des Katholizismus.65 Die österreichische Reichshälfte war mehrheitlich
katholisch: Weil sich kein Volk einer hegemonialen Position oder hegemoni-
aler Vorrechte erfreute, diente die gemeinsame, nationsübergreifende Kon-
fession als verbindendes Element. In Ungarn war hingegen der Katholizis-
mus weder gesellschaftlich noch staatspolitisch so dominierend, wie er in
Österreich war, auch wenn sich die katholische Amtskirche in Ungarn der
ungarischen Staats- und Nationsidee unterwarf. Nur in Kroatien gestaltete
62 Mario Strecha, O procesu politizacije katolicizma u Banskoj Hrvatskoj potkraj
19. stoljeća [Über den Prozess der Politisierung des Katholizismus im Banus-Kro-
atien Ende des 19. Jahrhunderts], in: Bosna Franciscana, 26 (2007), S. 91–125, hier
S. 100ff.
63 Über die national-klerikale Thematisierung im kroatisch-slawonischen Wahlkampf
von 1897 siehe u. a. Mirjana Gross, Povijest pravaške ideologije [Geschichte der
staatsrechtlerischen Ideologie], Zagreb 1973, S. 315; Stjepan Matković, Afirmacija
Khuenove autokracije. Izbori za Hrvatski sabor 1897. [Affirmation der Khuen’schen
Autokratie. Wahlen zum kroatischen Parlament 1897], in: Časopis za suvremenu
povijest 29 (1997), S.
469–489, hier S.
478; Vulesica, Die Formierung des politischen
Antisemitismus, S. 48.
64 Trn, 5. Juni 1895.
65 Dazu auch Techet, Nationalismus und Katholizismus, S. 162ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303