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161Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
engen Röcke anprangerte, blieben viele Dorfbewohner der Kirche fern. Die
örtliche Bezirkshauptmannschaft bemerkte dabei, dass jede erzkonservative,
die Sexualmoral betreffende Predigt »bei verrohtem Volke«, »bei der locke-
ren Moralität in Ricmanje« als Angriff empfunden werde.337
Auf der lokalen Ebene war die Stimmung weiterhin in der Kirchenge-
meinde zwischen den Menschen und ihren Priestern schlecht
– nur das mak-
ropolitische Interesse ließ nach. Die Konflikte nach 1910 / 1911 erreichten
nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie die Konfliktgeschichte davor, als sich
die lokale Angelegenheit in kirchen- und nationalpolitische Makrodiskurse
einbetten ließen.
3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen
auf mehreren Konfliktebenen
Nach der Darlegung der Konfliktgeschichte in Ricmanje, versuche ich im
folgenden Unterkapitel, die unterschiedlichen Konfliktebenen jenseits der
öffentlichen Wahrnehmung und Inszenierung des Konfliktes herauszuar-
beiten. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wogegen sich die Ereignisse im
Dorf richteten.
Der Konflikt in Ricmanje dauerte mehr als zehn Jahre – zumindest stand
das Dorf so lange im medialen Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Viele
Erzählungen fokussierten dabei auf ein einziges Konfliktmoment: die For-
derung nach muttersprachlichen Gottesdiensten. Herausgerissen aus ihrem
lokalen Kontext wurde diese Forderung für die starre These eines nationalpo-
litisch gespaltenen Kirchenlebens herangezogen. Dabei wurde sogar behaup-
tet, dass Ricmanje gegen eine angebliche »Italianisierung« des Kirchenlebens
Widerstand geleistet habe. Der böhmische Priester und Publizist, Rudolf
Vrba, meinte 1903 etwa, dass »[d]er Name »Ricmanje« sich allmälig als Fach-
bezeichnung für den Widerstand gegen die Italianisierung der katholischen
Kirche im Küstenlande ein[bürgert].«338 Vrba projizierte nationale Gegen-
sätze (und damit nationale Kategorien) in den Konflikt hinein, die objektiv
in einem homogen slowenischsprachigen Dorf nicht vorhanden waren und
sein konnten. Diese Darstellung war aber typisch auf der makrogeschichtli-
chen Ebene: Ricmanje galt in diesen Diskursen als Beispiel für eine angeb-
lich national-ethnisch gespaltene katholische Kirche auf der lokalen Ebene.
Zwischen 1900 und 1910 war der Name des Dorfes nicht nur in den größe-
ren österreichischen und ungarischen Blättern, sondern auch in diplomati-
337 Ebd.
338 Rudolf Vrba, Oesterreichs Bedränger. Die Los-von-Rom Bewegung. Studien über
politische, religiöse und sociale Zustände der Gegenwart, Prag 1903, S. 395.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303