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242 Konfliktdynamiken
bedingt sind, fruchtbar zu machen. Weil die ethnisch-sprachlichen Differen-
zen als Gründe für die Konflikte in den städtischen Diskursen herangezogen
wurden, wird zuerst in diesem Kapitel untersucht, wie und warum politisierte
Konflikte aus möglichen Differenzen hervortreten können (Kapitel 5.1.1).
Dabei steht das Phänomen der »Nationalitätenkonflikte« im Mittelpunkt:
Lassen sich die geschilderten Fälle damit erklären? Waren die sog. »Natio-
nalitätenkonflikte« überhaupt von den ethnisch-nationalen Differenzen und
nicht eher von sozialen und parteipolitischen, das heißt primär nationsun-
abhängigen Konfliktlinien bestimmt? Indem die »Nationalitätenkonflikte«
hinterfragt werden, lassen sich andere Gründe der geschilderten Konflikte
erarbeiten. Die Betonung der nationalen Differenzen verdeckte sowohl inte-
rethnische Konflikte als auch gesellschaftliche Dynamiken.
Im Weiteren stellt sich die Frage, ob sich das Ergebnis der Arbeit und die
Dekonstruktion der nationalistischen Erklärungen in der Erkenntnis zusam-
menfassen lässt, die Handlungen der lokalen Akteure im Sinne von Tara
Zahra als Beispiele »nationaler Indifferenz« zu beschreiben (Kapitel 5.1.2).
Lässt sich der Diskurs der »Nationalitätenfrage« nur durch die Verneinung
nationaler Differenzen und ihrer handlungsbestimmenden Wirkung rela-
tivieren? Oder bestimmten ethnisch-nationale Differenzen das alltägliche
Leben? Es gilt dabei, nicht nur eine Überdimensionierung der »Nationalitä-
tenfrage«, sondern auch ihre Bagatellisierung zu vermeiden.
Weil der oberadriatische Raum staatsrechtlich innerhalb der Donaumo-
narchie zweigeteilt war, ist es auch von großer Relevanz, wie sich makrohis-
torische Unterschiede zwischen den zwei Staaten Österreich und Ungarn auf
der lokalen Ebene auswirkten (Kapitel 5.2.1). Trotz der verschiedenen Rah-
menbedingungen in den zwei Hälften des Küstenlandes wird abschließend
versucht, eine gemeinsame, von der lokalen Perspektive aus gedachte Erklä-
rung für die Konfliktfälle zu finden (Kapitel 5.2.2).
5.1 Nationalitätenkonflikt?
5.1.1 Intraethnische Konflikte
Wie die Parteienforschung feststellte, verliefen die Konfliktlinien, die die
europäischen Länder im 19. Jahrhundert bestimmten, entlang der Diffe-
renzen zwischen Staat und Kirche, Stadt und Land, Arbeit und Kapital bzw.
Zentrum und Peripherie.2 Diese Differenzen, wie in den Fallbeispielen teil-
2 Seymour M. Lipset / Stein Rokkan, Cleavage Structures, Party Systems, and Voter
Alignments, in: Dies. (Hg.), Party Systems and Voters Alignments. Cross-National
Perspectives, New York / London 1967, S. 1–64, hier S. 47f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303