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165Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
Die Konfliktebenen folgten in gewisser Hinsicht chronologisch und dyna-
misch aufeinander: Je weniger Gehör die ursprünglichen, pragmatisch und
territorial bestimmten Forderungen fanden, desto mehr entfremdete sich das
Dorf von seiner Kirche. Auf den einzelnen Konfliktebenen kamen immer
neue Abhängigkeiten zum Vordergrund, die durch den Widerstand infrage
gestellt wurden – insofern zeichnete sich letztendlich eine multiple Unter-
drückungsmatrix ab, welcher sich die Dorfbewohner entzogen.
3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand
gegen kirchliche Vereinheitlichung
Die Geschichte vom Kirchenstreit war von zwei starken Persönlichkeiten
geprägt: dem Dorfkaplan Dr.
Anton Požar und dem Triestiner Bischof Franz
Xaver Nagl. In der Person von Nagl traf Don Požar auf einen Gegenpart, der
den Konflikt um die Liturgiesprache nicht verschweigen, sondern selbstbe-
wusst angehen wollte. Ihr konfliktbeladenes Verhältnis lässt sich nicht mit
persönlichen Motiven erklären: Sie kannten einander vorher nicht. Sie stan-
den aber innerhalb der Kirche für zwei Wege, welche dem Konflikt eine mak-
ropolitische Bedeutung verliehen bzw. zugleich die zwei radikalen Gegen-
positionen innerhalb der römisch-katholischen Kirche vertraten: Entweder
beharrten die kirchlichen Akteure auf einer supranationalen-universalen
Position (wie etwa Bischof Nagl), oder sie verschrieben sich nationalistisch-
partikularen Zielen (wie etwa Don Požar). Mit Bischof Nagl »betrat« also
der Klerikalismus
– ein anderes modernes Phänomen nebst dem Nationalis-
mus345 – die Bühne von Ricmanje. Die Ideen von Bischof Nagl entsprachen
der Linie des neuen Papstes Pius X, der von der südslawenfreundlichen Vor-
eingenommenheit seines Vorgängers Leo XIII zurückruderte.346 Pius X ver-
trat eine viel strengere Linie gegenüber jeglichen lokalen, normabweichen-
den Realitäten,347 insofern verstärkte sich die Politik des Hl. Stuhls gegen
die altslawische Liturgiesprache,348 die nur noch in begrenzten Fällen zuge-
lassen werden durfte. Der Konflikt in Ricmanje fing unter Leo XIII an, aber
die Lage eskalierte unter den neuen Richtlinien, die sowohl der neue Papst
345 Über den ultramontanen Klerikalismus als modernes, transnationales Phänomen
siehe u. a. Christopher Clark, The European Culture Wars, in: Clark / Kaiser
(Hg.), Culture Wars, S. 1–10, hier S. 3ff.
346 Valdevit, Chiesa e lotte nazionali, S. 215f.
347 Siehe dazu u. a. Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen, S. 73ff.
348 Deswegen begrüßte die nationalliberale, italienischsprachige Presse Istriens den
neuen Papst, siehe u. a. L’ Istria, 15. August 1903.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303