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236 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Den städtischen Diskursen und Konflikten um die katholische Kirche in
Fiume / Rijeka lagen zwei Annahmen zugrunde. Was den Konflikt zwischen
der »Stadt« und der »Kirche« anbetraf, wurde angenommen, dass der über-
wiegend kroatischsprachige Klerus in Fiume / Rijeka und seiner Unterge-
meinde Drenova infolge des multiethnischen Charakters der Stadt und sei-
ner Umgebung auf Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen wäre. Die Kirche
wurde dementsprechend als nationaler Akteur wahrgenommen: Wegen der
Zugehörigkeit der Stadt zum Bistum Senj wurde die Kirche – und dies ist
die zweite Annahme der damaligen Diskurse – »kroatisch« und »ländlich«
markiert. In den städtischen Diskursen ließen sich mehrere Debatten finden,
wo diese Unterschiede bedient und betont wurden.
Der in diesem Kapitel geschilderte und analysierte Streit zwischen dem
Dorf hoch oben in den Bergen und dem Bistum unten am Meer widerlegte
aber diese Annahmen. Das Bistum stand nicht (nur) mit der städtischen
Öffentlichkeit im Konflikt, sondern auch mit einem kroatischsprachigen
Dorf. Dies beweist gleichzeitig, dass sich die Kirche nicht eindeutig »länd-
lich« und »kroatisch« markieren lässt – weil sie gerade in einer ländlichen
und kroatischsprachigen Gegend wie Drenova auf Ablehnung stieß. Der Fall
von Drenova kann infolgedessen nicht als Beispiel des makrogeschichtlichen
»Nationalitätenkonflikts« zwischen einer (»italienischen«) Stadt und der
(»kroatischen«) Kirche, sondern als Fall des Selbstschutzes eines eigenständi-
gen Mikrokosmos gelten. Die Dorfbewohner lehnten jegliche Einmischung
in ihre eigenständige Lebensweise ab. Wie ein Leserbrief eines Dorfbewoh-
ners in der Fiumaner Tageszeitung Il Popolo zeigte, fühlten sich die Dreno-
vaer von beiden Seiten (dem Bistum ebenso wie der Stadt) ausgenutzt:
Wir, die Pfarrgemeinde in Drenova sind seit vier Monaten ohne Pfarrer. […] In diesem
Kampf sind wir, Drenovaer diejenigen, die leiden. Für die Taufen müssen wir nach
Fiume [Rijeka] gehen. Wer zahlt die Kutsche? Weder die Priester noch der Stadtma-
gistrat, sondern wir.286
4.3 Fazit:
Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken
Die Konflikte in dem ländlichen Hinterland Lika-Krbava sowie der länd-
lichen Peripherie städtischer Räume wie Drenova lassen sich schematisch
als ein Aufeinandertreffen lokaler Lebensweisen und externer, kontrafaktu-
eller Erwartungen zusammenfassen: Kroatischsprachigen Bauern wurden
Entscheidungen aufgebürdet – mal die Einführung einer nicht gewollten
286 Il Popolo, 25. Dezember 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303