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71Katholizismus
und Nation
sich die katholische Amtskirche in einem betont nationalen, sogar nationa-
listischen Diskurs.
Im Folgenden werden diese Unterschiede kurz erläutert (Kapitel 2.2.1)
und hinsichtlich der Liturgiesprachenfrage, welche ein bedeutendes Thema
im oberadriatischen Raum darstellte, für die lokale Ebene erklärt und kon-
textualisiert (Kapitel 2.2.2).
2.2.1 Unterschiedlicher Stellenwert des Katholizismus
In Ungarn stellte die katholische Religion eine knappe Mehrheit in der
Bevölkerung dar.66 Viele Nationalitäten Ungarns (Serben, Rumänen, Deut-
sche usw.) gehörten anderen Religionen an, und selbst die ungarischspra-
chige Bevölkerung war multikonfessionell (römisch und griechisch-katho-
lisch, calvinistisch, evangelisch und jüdisch).67 Staatspolitisch konnte sich
der Katholizismus in Ungarn keinesfalls als einende Idee darbieten, zumal
ein großer Teil der herrschenden ungarisch-magyarischen Elite calvinistisch
(reformiert) war.68 Der Calvinismus, auch wenn er sogar unter den ethnisch-
magyarischen Menschen nur eine Minderheit ausmachte, verstand sich
als die magyarische Religion, während hingegen dem Katholizismus eine
Habsburg-treue Supranationalität und demzufolge eine gewisse »nationale«
»Untreue« anhaftete.69 Auch der staatlich-katholische Stephanskult um den
staatsgründenden, ersten König Hl. Stephan gefiel vielen protestantischen
Kreisen nicht.70 Es gab immerhin Versuche, ethnisch-magyarische und
imperial-katholische Inhalte zusammenzuführen.71 Jenseits der demogra-
phischen Struktur und der nationalpolitischen Verortung der verschiedenen
Konfessionen war Ungarn nicht nur nationalstaatlich, sondern auch liberal-
säkular geprägt. Insofern wurde der Katholizismus nur in einer staatspoli-
tisch untergeordneten Rolle akzeptiert. Die ungarische Kirchenpolitik trug
66 Im Jahre 1900 waren 48.7 % der Bevölkerung von Ungarn (ohne Kroatien-Slawo-
nien) römisch-katholisch; im Jahre 1910 waren es 49.8
%; Daten aus: A Magyar Szent
Korona Országainak 1910. évi népszámlálása, S. 8.
67 Robert Nemes, The Uncivil Origins of Civil Marriage. Hungary, in Christoph
Clark / Wolfram Kaiser (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nine-
teenth-Century Europe, Cambridge 2003, S. 313–335, hier S. 316f.
68 Clewing, Staatensystem und innerstaatliches Agieren im multiethnischen Raum,
S. 514f.
69 Árpád von Klimó, Ein »konfessionelles Zeitalter« Ungarns (1848–1948)?, in: Alter-
matt / Metzger (Hg.), Religion und Nation, S. 215–228, hier S. 217ff.
70 Ders., Nation, Konfession, Geschichte. Zur nationalen Geschichtskultur Ungarns im
europäischen Kontext, München 2003, S. 99f.
71 Bálint Varga, Writing Imperial History in the Age of High Nationalism. Imperial
Historians on the Fringes of the Habsburg Monarchy, in: European Review of
History / Revue européenne d’ histoire 24 (2016), S. 1–16, hier S. 3.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303