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250 Konfliktdynamiken
Konformität
– zu gelten hatte.26 Die lokalen Akteure erlebten aber ihre natio-
nale Zugehörigkeit – ähnlich zu ihrer religiösen – nicht normkonform.
In den »national indifferent« oder »religiös indifferent« wahrgenomme-
nen Handlungen artikulierte sich eine lokale Ebene, die sich ihrer ethnisch-
sprachlichen und religiösen Zugehörigkeit zwar bewusst war, diese aber
nicht den äußeren (nationalistischen und / oder klerikalen) Vorstellungen
und Erwartungen entsprechend praktizierte. Gesellschaftliche Schichten,
die in den bestehenden Machtstrukturen vielschichtig marginalisiert wur-
den, erlebten sowohl ihren religiösen Glauben als auch ihre ethnisch-nati-
onale Zugehörigkeit jenseits der erwarteten und angebotenen Diskurse und
Artikulationskanäle.
5.2 Erfolgschancen der lokalen Akteure
5.2.1 Interessenartikulation in Österreich und Ungarn
Was die konkreten Fallbeispiele anbetrifft, besteht die interessante Frage
darin, in welchen Situationen sich Menschen auf der lokalen Ebene »national«
verorteten, das heißt sich des vorhandenen Instrumentariums des nationalen
Vokabulars bedienten: Wann erscheint die »Nation« auf der lokalen Ebene?27
Zwischen Österreich und Ungarn, also den zwei Reichshälften, deren Grenze
den oberadriatischen Raum durchzog und ihn daher makrogeschichtlich-
strukturell bestimmte, lässt sich ein gravierender Unterschied bezüglich der
Frage feststellen, auf welcher Ebene (Handlungs- oder Beobachtungsebene)
das nationale Vokabular bedient wurde. In Österreich verortete die Hand-
lungsebene (das heißt die proaktiven Akteure der Konflikte) ihre eigenen
Konflikte mit einem nationalen Vokabular, auch wenn diesen keine poli-
tischen, geschweige denn nationalpolitischen Motive zugrunde lagen. In
den Kirchengemeinden von Istrien und den Kvarner-Inseln bedienten sich
Kirchgänger oder Priester problemlos des nationalen Vokabulars, wenn sie
eigene (private) oder sozial bedingte Ziele in einer öffentlichkeitswirksamen
Art und Weise kommunizieren wollten. In Ricmanje lässt sich gut erkennen,
wie sich lokale Ziele wie etwa der unpolitische Wunsch nach einer eigenen
Pfarrei oder slowenischsprachigen Gottesdiensten in nationalpolitisch kon-
notierten Kategorien (»Muttersprache«, »Nation«, »Slowenentum«) äußerten.
26 Darüber, dass die »nationalen« Bewegungen die »nationale Kultur« bestimmten
und somit politische Forderungen im Namen der von ihnen bestimmten »Nation«
stellten, siehe u. a. Laurence Cole, Introduction. Re-examining National Identity in
Nineteenth-Century Central Europe and Italy. 1830–1870, in: Ders. (Hg.), Different
Paths to the Nation, S. 9.
27 Fox / Miller-Idriss, Everyday Nationhood, S. 540.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303