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61Imperium
und Nation
2.1 Imperium und Nation
Die Österreichisch-Ungarische Monarchie wird immer als ein einheitlicher
Staat betrachtet, der zwar infolge des Ausgleichs von 1867 in zwei Reichs-
hälften geteilt, aber einheitlich aufgebaut und strukturiert gewesen sei. Diese
Perspektive, die oft der starken Fokussierung auf die österreichische Hälfte in
der westeuropäischen Historiographie geschuldet ist,12 blendet die inneren,
staatsrechtlichen und daraus folgenden gesellschaftlichen Unterschiede der
beiden Reichshälften aus. Diese Unterschiede betrafen das Staatskonzept, die
Idee der Nation(en), den Stellenwert der Religionen und im Besonderen den
Stellenwert des Katholizismus. In der nach außen hin einheitlich agierenden
Donaumonarchie trafen zwei vollkommen unterschiedliche Verfassungs-
und Nationskonzepte aufeinander:13 ein supranational konzipiertes, katho-
lisch begründetes, durch die gleichen Staatsbürgerrechte zusammengehalte-
nes Österreich, in dem die Staatlichkeit nicht nationalisiert wurde, sowie ein
nationalstaatlich konzipiertes, liberal-säkular begründetes, durch die infor-
melle Vormachtstellung der magyarischen Elite und die Unterdrückung der
Nationalitäten zusammengehaltenes Ungarn, in dem die Staatlichkeit immer
mehr ethno-nationalisiert wurde.14
2.1.1 Österreich als Rechtsordnung für seine Völker
Imperien werden meistens als Herrschaftsstrukturen verstanden, die vom
Zentrum aus ohne gesellschaftliche Basis staats- und machtpolitisch zusam-
mengehalten seien.15 Aufgrund der radial angelegten Strukturen, wie Jürgen
Osterhammel die Imperien beschreibt, sei eine gesamtimperiale Gesellschaft
überhaupt nicht möglich, weil Imperien nur eine politische, aber keine sozi-
ale Integration darböten.16 Mit seinem supranationalen Selbstverständnis
und der einheitlichen, auf gleichberechtigten Kronländern und Staatsbür-
12 Die ganze Habsburgermonarchie ließe sich nur aufgrund österreichischer Quel-
len nicht verstehen, die ungarische und kroatische Seite seien dem Gesamtbild
hinzuzufügen, vgl. William M. Johnston, Zur Kulturgeschichte Österreichs und
Ungarns 1890–1938. Auf der Suche nach verborgenen Gemeinsamkeiten, Wien u. a.
2015, S. 91.
13 Matthias Weber, Ein Modell für Europa? Die Nationalitätenpolitik in der Habsbur-
germonarchie – Österreich und Ungarn 1867–1914 im Vergleich, in: Geschichte in
Wissenschaft und Unterricht (1996), S. 651–672, hier S. 668.
14 Gammerl, Untertanen, Staatsbürger und Andere, S. 246f., S. 285.
15 Siehe u. a. Alexander Motyl, Thinking about Empire, in: Karen Barkey / Mark
von Hagen (Hg.), After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. Soviet
Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires, Colorado 1997, S. 19–29;
sowie Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 610ff.
16 Ebd., S. 612.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303