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3.3. 1809 115
Auch nur die Motivation eines einzigen Protagonisten, Michael Pfurtscheller, um-
fassend zu rekonstruieren erweist sich, wie sich zeigen wird, trotz einer oberfläch-
lich betrachtet guten Quellenlage bei näherem Hinsehen als schwierig. Zumindest
scheint in Anbetracht der Funktion Pfurtschellers im Jahre 1809 als „Leiter“, wie
es Hueber ausdrückte259, sowie der Rezeption seiner Rolle in den Ereignissen dieses
Jahres, offensichtlich zu sein, dass er der Idee eines Aufstandes gegen die bayeri-
sche Regierung positiv gegenüberstand, dass er in der Auseinandersetzung zwischen
Aufstandsbefürwortern – den „Falken“ – und Aufstandsgegnern – den „Tauben“260
– wohl auf der Seite Ersterer stand. Dass es während der ersten Jahre unter bayeri-
scher Verwaltung im Stubaital Veränderungen gegeben hatte, die zumindest einigen
Stubaiern sauer aufstießen, wurde bereits erörtert. Der Schluss, dass für den Eisenwa-
renverleger Pfurtscheller die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Stubai,
namentlich die Absatzschwierigkeiten durch den Wegfall der Märkte Österreich und
Oberitalien, ein geradezu offensichtliches Motiv darstellte, liegt nahe.
Dass es jedoch problematisch ist, diesem einfachen, und scheinbar offensichtli-
chen Weg zu folgen und Pfurtscheller vorschnell als „Falken“ zu identifizieren, zeigt
sich an der Darstellung der Ereignisse unmittelbar vor dem Ausbruch des Aufstandes
durch Michael Pfurtscheller selbst. Aus mehreren, lange Zeit nach 1809 entstande-
nen Quellen aus seiner Feder ergibt sich ein differenziertes Bild des Michael Pfurt-
scheller in der Vorbereitungs- und Anfangsphase der Erhebung 1809:
Gegenüber Joseph Rapp schildert Pfurtscheller den 11. April, den Tag, an dem
die Kampfhandlungen im Großraum Innsbruck begannen. Er habe, so schreibt er,
überhaupt erst am Morgen dieses Tages von den Plänen zur Erhebung erfahren, erst
an diesem Tag ein österreichisches Aufforderungslibell261 zu lesen bekommen:
259 Vgl. Hueber, Michael Pfurtscheller, 1891, S. 3.
260 Vgl. zur Begrifflichkeit der „Falken“ und „Tauben“ z. B. Schennach, Revolte, 2009, S. 321.
261 Josef Hirn spricht von einem „auffordernden Brief, der vom Erzherzog Johann gekommen“ war, der
von Haus zu Haus getragen worden sei. (Vgl. J. Hirn, Tirols Erhebung, 1909, S. 298.) Pfurtscheller
bezieht sich in seinem Bericht dezidiert auf die mit „Auf, Tyroler, auf! Die Stunde eurer Erlösung ist
nahe“ überschriebene Proklamation Joseph von Hormayrs. (Vgl. [Joseph von Hormayr], Auf, Tyro-
ler, auf! Die Stunde eurer Erlösung ist nahe, o. O. 1809.) Joseph von Hormayr selbst schreibt 1817
in seinem Werk „Geschichte Andreas Hofer’s“ über sein Flugblatt vom April 1809: „Im nemlichen
Augenblicke flogen Tausende von Aufrufen in beiden Nationalsprachen, der Deutschen und Wäl-
schen, in der Straussischen Offizin zu Wien gedruckt, wie Flocken im plötzlichen Schneegestöber,
auf unzähligen Wegen ins Land hinein geschwärzt, damit sie recht von Innen heraus wirken sollten,
und die einrückenden Österreicher schon alle Gemüther in Feuer und Flammen fänden, von Hand
zu Hand, und ihr Inhalt von Munde zu Munde.“ (Vgl. [Joseph von Hormayr], Geschichte Andreas
Hofer’s. Sandwirths aus Passeyr, Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809, Leipzig 1817, S.
64–67.)
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435