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3.3. 1809 207
Diesem leider nicht datierbaren Bericht an Joseph Rapp zufolge erfuhr Pfurtschel-
ler also am 30. Oktober 1809 vom Frieden von Schönbrunn. In etwa zeitgleich hatte
man, folgt man den Angaben Pfurtschellers in diesem Bericht weiter, wohl auch
im Stubaital vom Friedensschluss erfahren. Am folgenden Tag sei nämlich Pfurt-
schellers Schwager Joseph Lener655 – wie erwähnt Gemeindevorsteher und Wirt in
Mieders – zu ihm auf den Bergisel gekommen, „mit der Nachricht: Hofer […] habe
in der Person des Baron v. Lichtenthurn656 einen Courier von Sr. Kais. Hoheit dem
Erzherz. Johann erhalten, […] worin die Tiroler zu augenblicklicher Einstellung der
e, Nr. 10.) Auf die Möglichkeit, dass auch das bereits 1833 verfasste Schreiben Pfurtschellers an
den unbekannten „Herrn Professor“ an Joseph Rapp gerichtet gewesen sein könnte, wurde bereits
hingewiesen. (Vgl. Anm. 357.)
655 Pfurtscheller spricht lediglich von seinem „Schwager Lener“. Seine Ehefrau Anna Lener hatte jedoch
mehrere Brüder. In Quellen und Literatur werden Joseph Kupertin Lener als Gemeindevorsteher
und Wirt in Mieders, Anton Georg Lener als Wirt zum Weißen Kreuz in Innsbruck, Jakob Lener
als Buchhalter des in Wilten ansässigen Handelshauses Simon Kapferer und Franz Xaver Lener als
Franziskanerkandidat in Hall genannt, Johann Anton Lener war bereits vor 1809 verstorben. Die
Annahme Granichstaedten-Czervas, es habe sich beim Schwager Lener, den Pfurtscheller in seinem
Bericht erwähnt, um Joseph Lener gehandelt, erscheint plausibel. Schließlich agierte der Schwager
offensichtlich im Auftrag der Gemeindevorstehungen des Stubaitales, zu denen Joseph Kupertin
Lener als Gemeindevorsteher von Mieders das größte „Naheverhältnis“ aufwies. (Vgl. Granichstaed-
ten-Czerva, Alte Garde, 1932, S. 309–313.) Den 1830 verfassten Standeslisten der Stubaier Ge-
meinden zu den Tagen zwischen dem 22. Oktober und dem 1. November 1809 zufolge war Joseph
Lener jedoch selbst als Hauptmann der Aufgebote von Mieders und Schönberg in den betreffenden
Tagen in den Stellungen am Bergisel. (Vgl. Standesliste Gemeinde Mieders von 22. Oktober bis
1. November 1809, 20. Mai 1830, TLA, Standeslisten der Landesschützen und Landsturmkom-
panien 1809, Bündel VII, Abt. 27, Gericht Mieders, Nr. 10.) Granichstaedten Czerva löst diesen
scheinbaren Widerspruch folgendermaßen auf: Er ignoriert sowohl die Berichte Pfurtschellers als
auch die Standeslisten von 1830, wonach die Stubaier Aufgebote – und auch Lener – in der Zeit
zwischen dem 22. Oktober und dem 1. November 1809 ununterbrochen in den Stellungen am
Bergisel standen. Lener habe Pfurtscheller am 29. Oktober im Namen der Gemeindevorstehungen
des Stubaitales aufgefordert, sich zurückzuziehen, dennoch seien beide mit der Stubaier Mannschaft
am 1. November wiederum dorthin ausgerückt, um am letzten Bergiseltreffen teilzunehmen. (Vgl.
Granichstaedten Czerva, Alte Garde, 1932, S. 311.) Natürlich ist auch vorstellbar, dass Lener sich
aufgrund der relativ kurzen Entfernung zwischen dem Bergisel und dem Stubaital nicht durchge-
hend zehn Tage lang in den Stellungen am Bergisel aufhielt, sondern sich zwischendurch auch ins
Stubaital begeben haben kann.
656 Josef Ignaz Freiherr von Aschauer-Lichtenthurn (1779–1838), Jurist, rückt bereits 1796 mit den
Wiltener Schützen zur Landesverteidigung aus, 1809 kommandiert er am 29. Mai eine Schützen-
kompanie am Bergisel. Er ist im Jahr 1809 zweimal als Gesandter bei Erzherzog Johann, einmal
auch beim Kaiser. Ende Oktober überbringt er die Nachricht vom Frieden von Schönbrunn. Sein
epileptischer Anfall sei von Hofers Beratern als Zeichen dafür interpretiert worden, dass der von ihm
überbrachten Nachricht nicht zu trauen sei, heißt es in der Literatur. (Vgl. Blaas, Josef Daney, 2005,
S. 403.)
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435