Page - 211 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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3.3. 1809 211
„[…] aber wie erstaunt war er [Lener] – daß ich gedachten Wienerfrieden ehevor wußte,
und welch ungläubige Thomase – meine Vorgesezten Comandanten seyen. Selbst der Ruf
meiner jungen schönen Frau vermochte nicht – mich von den Kampfplatze eher zu entfer-
nen, als bis uns ein erbitterter weit überlegner Feind drängte.“671
Pfurtscheller vermittelt hier nun ein ambivalentes Bild seiner Entscheidung, sich
nicht zurückzuziehen. Er stellt sich zwar als von der Richtigkeit der Friedensnach-
richt überzeugt gewesen dar und übt daher Kritik an seinen ungläubigen „Vorge-
setzten“, seine gegenüber Joseph Rapp geäußerte Sorge vor den Reaktionen dieser
„Falken“ wird hier jedoch nicht erwähnt. Vielmehr betont Pfurtscheller hier seine
eigene Tapferkeit und versucht diesen Eindruck noch zu verstärken, indem er den
„Ruf seiner jungen schönen Frau“ einführt.
Die ausführlichste und zugleich „literarisch aufwändigste“ Beschreibung der Er-
lebnisse in den Tagen vom 22. Oktober bis zum 1. November 1809 durch Pfurt-
scheller findet sich in dessen Nachlass.672 Der Text ist leider nicht exakt datierbar, ist
jedoch mit Sicherheit nach 1818 entstanden.673 Die Anekdote des Patrouillenauszu-
ges in die Gegend um Hötting, im Zuge dessen Pfurtscheller, so seine beiden bereits
wiedergegebenen Berichte, durch einen „alten Mann“ vom Frieden von Schönbrunn
erfahren haben will, fehlt hier gänzlich. Diesem Bericht zufolge erfuhr Pfurtscheller
vom Friedensschluss auf ganz andere Art und Weise:
671 Pfurtscheller an „Hr. Professor“, 25. August 1833, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, III, Bund 2, Nr. 77.
672 Vgl. Fragment Abhandlung 27. Oktober 1809 bis 20. Februar 1810, o. D., TLMF, Hist. Samml.,
Nachl. MP, I, Bund 1. – Es handelt sich um die nummerierten Seiten 5 bis 32. Daher rührt die
Bezeichnung „Fragment“. Auf der ersten Seite findet sich der anonyme Bleistift-Vermerk „fehlt lei-
der Anfang und Ende“. Aufgrund des Abgleiches der Handschriften kann Michael Pfurtscheller
als Urheber dieses Vermerkes ausgeschlossen werden. Der Text des „Fragments“ unterscheidet sich
stilistisch von den übrigen Berichten Pfurtschellers. Die sprachlich aufwändigere Form und der
strukturierte formale Aufbau des Textes legt eine Ausrichtung auf eine breitere Leserschaft nahe.
Der augenfälligste Unterschied zu Pfurtschellers übrigen Berichten ist die Verwendung der dritten
Person für sich selbst. Pfurtscheller entfernt sich dadurch vom Erlebnisbericht und wird zum Ge-
schichtsschreiber. Die so entstehende Distanz zwischen Pfurtscheller als dem Autor des Textes und
Pfurtscheller als Protagonist der dargestellten Ereignisse wird jedoch immer dann aufgehoben, wenn
der „Schreiber dieses“ selbst als Akteur in Erscheinung tritt. Eines von mehreren Beispielen hierfür
ist der folgende Abschnitt: „Schreiber dieses befahl den wenigen Weinvorrath auszuschitten! (da zum
Trinken keine Zeit war.) Er holte auch noch den Säbl u. Stok seines Lieut. Gg. Gschlieser aus den
Lagerhüthe; sodann half er auch einen feindlichen Cavallerie-Angriff an der Verhauten Poststrasse
zwischen den Ferrari u. Reselerhof, mit seinen Leute zurückweisen.“ (Fragment Abhandlung 27.
Oktober 1809 bis 20. Februar 1810, o. D., TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, I, Bund 1, S. 9.) –
Mehrfach verwendet Pfurtscheller in der Darstellung auch die erste Person Plural.
673 Im Text wird erwähnt, dass Michael Pfurtscheller „seit dem Jahr 1808 bis 1818 gewählter Ortsvor-
steher in Fulpmes“ war. (Vgl. ebd., S. 15.)
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435