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304 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal
als Entwurf zu dem in seinem eben erwähnten Schreiben an die Gemeindevorsteher
genannten „mitkommenden Aufsatz“ zu interpretieren ist, er habe seinen Schwager Jo-
seph Cupertin Lener als neuen Gerichtskassier vorgeschlagen, „welcher es auch gewor-
den ist: u. durch Jahre dieses Müheseelige Amt versach“.70 Auch im bereits mehrfach
erwähnten Verzeichnis der Zeugnisse und Urkunden Pfurtschellers wird dies vermerkt:
„Laut löbl. K.k. Landgerichtlicher Mitteilung ddo. Matrei 10. Dez. 1825 – hat den mehrge-
dachten Michael Pfurtscheller – die einstimmige Wahl als Gerichtskassier getroffen, welche
er, der viellen eigenen Verrichtungen wegen ablehnte, dem Jos. Lener in Mieders vorschlug,
welcher dieses lästige Amt annahm.“71
Für Pfurtscheller war die Funktion des Gerichtskassiers also keineswegs erstrebens-
wert. Überhaupt lässt der Umstand, dass es offensichtlich keine selbsternannten Kan-
didaten gab, darauf schließen, dass dieses Amt auch von seinen Zeitgenossen eher als
– wie Pfurtscheller es ausdrückt – „Bürde“ und „lästig“ betrachtet wurde. Dass dies
wohl nicht nur auf das Amt des Stubaier Gerichtskassiers im Jahr 1825 zutraf, dar-
auf weist zum Beispiel auch jener Punkt der 1819 erlassenen, neuen Gemeindeord-
nung hin, in dem die Wahl von Gemeindevorsteher, -beisitzer und -kassier geregelt
wurde. Danach war „jedes taugliche Gemeindemitglied […] verbunden, ein jedes
dieser Aemter, wenigstens auf ein Jahr ohne Widerrede anzunehmen“.72 Pfurtschel-
lers „Widerrede“ gegen seine Nominierung als Gerichtskassier ist also wohl nicht als
Sonderfall anzusehen. Die Frage, inwiefern sein vehementes Vorgehen dagegen bezie-
hungsweise der Erfolg seines Protests als ein solcher zu interpretieren sind, bedürfte
einer weiterführenden, vergleichenden Untersuchung ähnlich gelagerter Fälle.
70 Entwurf Gemeindevorsteher an LG Matrei, 24. Dezember 1825, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP,
II, Bund 1, Nr. 29.
71 Verzeichnis Zeugnisse, Urkunden und Diplome, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, I, Bund 1, Nr.
50, Eintrag zum 10. Dezember 1825. – In den Akten des Landgerichtes Mieders finden sich mehrere
Hinweise auf die Tätigkeit Joseph Leners als Gerichtskassier, als Beispiele seien hier die Gerichts-Jah-
resabrechnungen der Jahre 1826 bis 1830 genannt. (Vgl. Gerichtsrechnung LG Mieders 1826, TLA,
Aktenserie LG Mieders, Fasz. 37, 1821–1826, Bündel „1926 Mieders Akten“; sowie: Gerichtsrech-
nungen LG Mieders 1828–30, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 38, 1828–1830, Bündel „LG
Stubai 1830 – alle Abteilungen“.) In einem Schreiben vom Mai 1831 ist vom „letztausgetrettenen
Gerichtskaßier“ Joseph Lener die Rede. (Vgl. LG Mieders an Anton Siller, 11. Mai 1831, TLA,
Aktenserie LG Mieders, Fasz. 39, 1831, Abt. XVI.) Leners Nachfolger als Stubaier Gerichtskassier
war Anton Leitgeb aus Telfes. (Vgl. Protokoll Gerichtsausschusssitzung, 19. September 1831, TLA,
Aktenserie LG Mieders, Fasz. 39, 1831, Abt. XVI.)
72 Vgl. „Die Regulirung der Gemeinden, und ihrer Vorstände in Tyrol und Vorarlberg betreffend“ [=
Gemeindeordnung 1819], 26. Oktober 1819, in: Provinzial-Gesetzsammlung von Tyrol und Vorarl-
berg 6 (1823), S. 755–796, hier: S. 763.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Title
- Ein Bürger unter Bauern?
- Subtitle
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Author
- Michael Span
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 470
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435