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REISEMOTIVE
im eigenen Land auf der Flucht, werden systematisch
ausgehungert und die Schäden in vielen Städten wie
Saada, Sanaa, Taiz oder Aden sollen bereits erheb-
lich sein. Der einzigartige Jemen von 1991, wie ich
ihn, über weite Strecken zusammen mit Adele noch
erleben konnte, existiert offenbar nicht mehr. Dies be-
stätigte auch die Restauratorin Ursula Dreibholz, die
von 1982 bis 2015 rund 33 Jahre in Sanaa, der
Hauptstadt dieses an Kultur- und Naturschätzen so
reichen Landes lebte.
Berichte über Verluste in der Bevölkerung und über
Schäden an den traumhaften Bauten des Jemen er-
reichen nur relativ selten die Medien der ersten Welt
und haben hier auch nicht den Stellenwert wie Prob-
lemherde in unserer direkten Nachbarschaft. Berich-
te über die Zustände im Jemen von in Österreich le-
benden Jemeniten geben aber auch nur selten einen
objektiven Überblick. Alle sprechen von großen Ver-
lusten an Menschen und Gebäuden. Die Problematik
des Krieges Anfang des 3. Jt. und seine Auswirkun-
gen auf den Jemen will und kann jedoch diese Arbeit
nicht abhandeln. Dieser Bericht über eine individuell
geplante Studienreise durch beide Teile des Jemen
unmittelbar nach der Wiedervereinigung des Nor-
den mit dem Süden versteht sich als eine Zeitreise in
den Jemen am Übergang von 1991 zu 1992, also
viele Jahre vor dem Jemen-Krieg Anfang des 21. Jahr-
hunderts.
Reisemotive
Schon während meiner Schulzeit liebte ich das Buch
“Vergessenes Südarabien“ von Hans Helfritz, aus
dem Jahr 1936, das in der Bibliothek meines Vaters
stand. Diese Arbeit basiert auf seiner ersten 1932
veröffentlichten Publikation mit dem Titel “Chicago der
Wüste“. Die faszinierenden Schwarz-Weiß-Fotos von
Helfritz zeigen etwas von der Wildheit des Landes
und von der variantenreichen und fantasievollen Ar-
chitektur des jemenitischen Südens. Dieses Land und
seine Architektur wollte auch ich seit damals näher
kennenlernen.
Schon damals wurde mir klar, dass der Jemen ein
Land sein muss, in dem der Mensch noch zu einem
großen Teil versucht, nachhaltig mit den Ressourcen
wie Wasser, Holz oder Brennmaterial in der Land-
wirtschaft, beim Bauen und in der Lebensweise um-
zugehen. Die kargen, zum Teil sehr lebensfeindlichen
Umweltbedingungen des Jemen mussten zu einem
harmonisierten Umgang mit den wichtigsten Res-
sourcen im Jemen führen. Ohne eine entsprechende
Selbstbeschränkung erlebt ein solches Land zwangs-
läufig schon sehr bald einen ökologischen Zusam-
menbruch. Die Fotos von der Architektur des Jemen zeigen
deutliche Einflüsse aus Afrika, aber auch aus Indien
und aus den Gebieten des “Fruchtbaren Halbmon-
des“ quasi am Fuß der arabischen Halbinsel, aber
auch aus der Kultur der einstigen Urartäer im ersten
Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung im Osten der
Türkei. Andere Bautechniken scheinen sich im Jemen
selbst unabhängig von äußeren Einflüssen entwickelt
zu haben. Manche technische Erfindungen, wie das
Schlusssteingewölbe, hingegen dürften in vorislami-
scher Zeit nicht bis in den Jemen vorgedrungen sein.
Diesen Phänomenen wollte ich im Jemen nachge-
hen.
Zugleich gehört der Jemen offenbar zu den land-
schaftlich reizvollsten Ländern der Erde. Die Stadt-
und Siedlungsformen im Jemen sind äußerst vielfäl-
tig und die Bauformen nur in Abhängigkeit von der
jeweiligen Landschaft und den am Ort verfügbaren
Baumaterialien zu verstehen. Etliche Bautechniken
wurden offenbar im Land selbst entwickelt, manche
aber wurden auch von außen ins Land gebracht. Vie-
les ist wohl durch die über das Rote Meer hinausrei-
chenden frühen Großreiche mit dem frühen Afrika in
vorchristlicher Zeit bereits ausgetauscht worden.
Auch viele Motive in der Gestaltung der Bauten dürf-
ten von dort aus dem heutigen Äthiopien, aus Eritrea,
Dschibuti, Sudan und Somalia stammen und haben
sich mit örtlichen Motiven im Jemen gemischt. Es ka-
men aber sogar auch in der jüngeren Vergangenheit
erstaunlich starke, europäische Stilmerkmale aus der
Zeit des Historismus im ausgehenden 19. Jahrhundert
über den Umweg über Indonesien bis in den Jemen.
Das war lange bevor sich vor allem der südliche Je-
men Ende des 20. Jh. zum Westen hin etwas öff-
nete. Hierüber wird aber später ausführlicher noch
berichtet.
Im Norden und Nordosten des Jemen liegt die gro-
ße Sandwüste, die Rub al Khali, in deren Nähe die
Siedlungen mitunter auf dicht mit Hochhäusern be-
standenen Siedlungshügeln angelegt sind und nach
außen einen defensiven Charakter zeigen. Diese Hü-
gel sind, wie bei Marib, das Ergebnis einer mehrere
tausend Jahre anhaltenden Siedlungskontinuität und
stellen meist ein Tell dar. Ein Tell hat sich gewöhnlich
bei sehr alten Städten gebildet und ist ein Hügel, der
aus unzähligen, übereinanderliegenden Siedlungs-
schichten, Resten zerstörter älterer Bauten, besteht.
Hierzu ist es notwendig, dass die Siedlungszone
immer am selben Ort blieb. Die Zerstörungen von
Bauten können dabei beispielsweise durch den witte-
rungsbedingten Zerfall der Lehmhäuser, durch Erdbe-
ben oder durch kriegerische Auseinandersetzungen
entstanden sein.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix