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ANALYSE
Saada-Lehmbauweise
In Saada findet sich bei den historischen Bauten eine
weitere Lehmbauweise. Hier gehören markante ho-
rizontale Fugen an den Fassaden der historischen
Bauten in der Altstadt zum alles prägenden Charak-
teristikum. Unverwechselbar werden die Fassaden
dadurch, dass diese Fugen an den Gebäudeecken
jeweils in einer abgerundeten Stufe um etwa 30 bis
50 cm hinaufgeführt werden. Die ca. 50 bis 70 cm
hohen Lehm-Schichten suggerieren von weitem gese-
hen, dass es sich um Bauten in Pisé-Bauweise han-
deln könnte. Das trifft aber nicht zu.
In Wirklichkeit wird jede dieser Lehmschichten aus
unzähligen nassen Strohlehmklumpen händisch ohne
Schaltafeln aufgebracht und so geformt, dass jeweils
die untere Kante einer Schicht etwas ausgestellt vor-
tritt und nach oben gleichmäßig um einige Zentimeter
zurückweicht. Die Schichten wirken dadurch von der
Seite gesehen fast wie langgezogene Schuppen oder
wie Schindeln auf einem Dach. Hierdurch wird das
Regenwasser von jeder Schicht etwas nach außen
geführt. Welchen Sinn das Heraufziehen der Schich-
ten zu den Hausecken hat, konnten wir leider nicht he-
rausfinden. Es ist bei allen historischen niedrigen Lehm-
bauten dieser Art und auch bei den vielgeschoßigen
Lehmtürmen anzutreffen und wird auch noch heute bei
Bauten in traditioneller Bauweise so ausgeführt.
Bei großen Dachflächen wird eine Art Wasserspeier
an der Dachkante ebenfalls aus Lehm errichtet, der
das Wasser möglichst in einem Bogen jeweils vom
Haussockel möglichst weit entfernt unten auftreffen
lassen soll. Diese Wasserspeier müssen nach jedem
Regen sorgfältig ausgebessert werden. Manche
Häuser haben ganze Serien solcher Wasserspeier
nebeneinander an der Dachkante. Insbesondere das
Strohlehmgemisch muss an der Oberfläche in einer
Weise verarbeitet werden, dass das im Lehm einge-
lagerte Stroh nach dem Abschwemmen der obersten
Lehmschicht durch Regen selbst einen möglichst guten
Schutz gegen die weitere Erosionskraft des Wassers
bildet. Grafisch erhalten viele Bauten durch die Was-
serspeier eine Art vortretenden oberen Abschluß (sie-
he S. 196, Abb. 217).
Schaabwa-Riegelwände
Es gab in der Region um Schaabwa eine ganz spe-
zielle Art von Lehmziegelwänden, die über ein dreidi-
mensionales Korsett von starken Riegelwandkonstruk-
tionen verfügten. Diese Konstruktionsweise findet man
bis heute noch vereinzelt im Jemen. Als mir am 15. 1.
1992 spät nachts der französische Archäologe Jean
Françoise Breton eine solche in Schaabwa freigeleg-
te Lehmhochhäuser aus Lehmziegeln stark den in Pi-
sé-Bauweise, in Stampflehm-Bauweise, errichteten
Bauten. Oft muss man mehrmals hinsehen, bevor
klar wird, dass die großen Felder nicht dem Format
von Schaltafeln entsprechen, sondern nur die sehr
regelmäßigen rektangulären Abschnitte zeigen, in
denen der Verputz aufgetragen wurde. So sind die
Angaben in der Literatur über die Verwendung von
Stampflehm (Wald 1980:298) mit Vorsicht zu be-
handeln. Bei heutigen Neubauten von Hochhäusern
in Schibam kann es natürlich kaum ausgeschlossen
werden, dass jemand inzwischen auch großforma-
tige, glatte, ebene und aus einem harten Holz ge-
fertigte teure Schaltafeln bis ins Wadi Hadramaut
gebracht hat, um auf diese Weise schneller bauen
zu können. Aber selbst beim langsamen Abbau ein-
sturzgefährdeter Hochhäuser werden meist die alten
Adobes aus den Mauern nach Möglichkeit noch
herausgelöst, in den Straßen der Umgebung und
unterhalb gestapelt und beim Ersatzbau gleich wie-
derverwendet, was wir an einigen Stellen in Schi-
bam, Seiyun und in Tarim aber auch im Wadi Duan
beobachten konnten.
Grundsätzlich wäre die Pisé-Bauweise eine beque-
mere Alternative zur Adobe-Bauweise, vor allem,
wenn die Bauten nicht sehr hoch sind. Vermutlich ist
dies aber in der Vergangenheit an der Beschaffung
entsprechenden Holzmaterials für die Schaltafeln ge-
scheitert. Das Palmenholz ist zu weich und zu rau für
diesen Zweck. Andere Hölzer wachsen nicht gerade
genug, um daraus glatte Bretter gewinnen zu kön-
nen. Der Weg vom Wadi Hadramaut bis zum Meer
war weit, solange man über keine Lastkraftwagen
verfügte.
Bei zwei Hochhäusern in Schibam sahen wir, dass
die Treppenhäuser direkt an eine Außenwand grenz-
ten. Diese konnten daher recht gut vom Tageslicht
beleuchtet werden. Es waren je nach Stockwerks-
höhe drei- oder vierläufige Treppen, die um einen
relativ massiven Mittelpfeiler liefen. Die Lehmstufen
und auch der untere Rand des aufgehenden umge-
benden Mauerwerks waren mit heller Lackfarbe ge-
strichen, was die Widerstandsfähigkeit gegen raue
Füße oder raue Strümpfe deutlich erhöht.
Im Treppenhaus waren auch in jedem Stockwerk die
Glocken montiert, die eine um Einlass bittende Per-
son durch Ziehen des Seiles hinter dem kleinen Tür-
chen neben der Haustür zum Läuten bringen kann.
Von diesem Treppenhaus gehen pro Stockwerk meist
zwei Türen, seltener nur eine oder gleich drei in die
Wohnungen des Stockwerks (siehe S. 151, Abb.
157).
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix