Seite - 86 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISEBERICHT
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Luftlinie; auf den alten Karawanenwegen. Auf dem
Wasserweg sind es noch mehr.
Wenn man bei Helfritz liest, dass traditionelle jeme-
nitische und marokkanische Lieder große melodische
Übereinstimmungen aufweisen (Helfritz 1936:57),
so sind das weitere Hinweise auf eine kulturelle frü-
he Verbindung zwischen den zwei Kulturzonen. An-
geblich wurden in Ägypten die in Hieroglyphen ge-
meißelten Texte im Alten Reich in der Sprache eines
Altberberisch verfasst (Bernatzik 1939:241). Daher
darf man vermuten, dass die Berber in der Vergan-
genheit schon vor mehreren tausend Jahren von sehr
großer Bedeutung für die Sprachen und Kulturen zu-
mindest für den gesamten nordafrikanischen und den
nordostafrikanischen Raum sowie auch für Arabien
waren. Sie könnten schon vor Jahrtausenden Mittler
in vielen Dingen wahrscheinlich bis in den Jemen
gewesen sein.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass
die Grabbauten für Marabouts, das sind bedeuten-
de Geistliche in Marokko, eine auffallende Ähnlich-
keit mit den Grabbauten von geistlichen Führern im
Südjemen haben, von denen auf der Fahrt zwischen
Tarim über Seiyun nach Schibam gleich mehrere
prächtig gestaltete Beispiele nahe der Straße stehen.
Hinzu kommt, dass der Islam eine Religion noma-
disierender Völker ist und dass jeder Moslem dazu
angehalten wird, wenigstens einmal im Leben den
“Hadsch”, eine Pilgerfahrt nach Mekka, zu unter-
nehmen. So werden schon seit Beginn des Islam,
also seit dem 7. Jh. Einflüsse aus den unterschied-
lichsten Kulturen der gesamten islamischen Welt auf
die arabische Halbinsel getragen und dort ausge-
tauscht. Aber schon vorher in der Antike war auch
der Handel und hier vor allem der mit Weihrauch,
einer bedeutenden Handelsware, die für kontinuier-
liche Handelsbeziehungen vom Jemen bis in den
Mittelmeerraum und nach Europa sorgte.
Tarim
Tarim ist von außen betrachtet eine relativ grüne
Oase mit vielen Palmen im sonst meist trockenen
Wadi Hadramaut. Hier wurde uns ein aus Lehm ge-
bauter Palast aus dem 19. Jh. als Quartier empfoh-
len. Dieser Palast eines ehemaligen Imam war zum Al
Qubba Hotel umgebaut worden, das Zimmer inklusi-
ve Frühstück und Abendessen ohne Getränke anbot.
Es war einer jener vielen Paläste im Wadi-System des
Hadramaut, die besonders erstaunlich deshalb sind,
weil sie von einer deutlich europäischen Architektur-
sprache aus dem 19. Jh. geprägt sind, obwohl im 19.
Jh. praktisch noch keine Europäer ins Wadi Hadra-
maut reisen konnten.
Zur Kühlung tragen mitunter auch Blendgitter entlang
des Fußes der Kuppel und manche stärker profilierte
Reliefs auf einer solchen Kuppeln bei, die dafür sor-
gen, dass sich die Außenwände des Wasserhauses
weniger aufheizen können. Die Gitter beschatten die
Wand oder Kuppel, die Sonne heizt also nur die
Gitter auf. Außerdem ist die Kuppel gewöhnlich weiß
gekalkt, wodurch das Sonnenlicht maximal reflektiert
wird und die Oberfläche wasserresistenter gegen Re-
gen wird. Auf einer Seite des Wasserhauses gibt es
mittig eine kleine Tür, durch die man den Wassersack
oder das Keramikgefäß herausnehmen kann. Durch
sie kann auch das Becken nachgefüllt werden. Wan-
derer dürfen sich hier bedienen.
Leo Hirsch beschreibt ein Wasserhaus als “ein flaches
Becken, das in einen würfelartigen Unterbau einge-
lassen ist, über dem sich eine Kuppel wölbt. Zwischen
beiden bleibt ein vergitterter Spalt, breit genug, um
mit den dabeiliegenden hölzernen Schöpfkellen das
Wasser zu erreichen; dieses muss eingefüllt und oft
genug von weither herangeschafft werden; und eben
in der Unterhaltung liegt der Werth des wohlthätigen
Werkes“ (Hirsch 1897). Sie wurden hier, wie auch in
Ägypten und anderen Ländern in trockenen Gebie-
ten entlang von Handelswegen von wohlhabenden
Kaufleuten errichtet und unterhalten.
Ein Stück weiter ragten die Ruinen einer alten Wehr-
burg mit vier runden Ecktürmen auf einem felsigen
Vorsprung der seitlichen Hänge des Wadis auf. Es
ist erstaunlich, wie lange diese unbewohnten Bau-
werke in dem trockenen Klima den Winden und den
seltenen aber meist heftigen Regenfällen widerstehen
können. Die Konstruktionsweise dieses Wehrbaues
erinnerte wieder im Konzept stark an die Tighremts
im Süden Marokkos, die ebenfalls aus Lehm errichtet
sind und meist drei- oder viergeschoßige Wohntürme
darstellen. Sie stehen am südlichen Fuß des Atlasge-
birges in der Grenzregion zur Wüste Sahara. Auch
sie wurden über annähernd quadratischem Grund-
riss als hohe Hofhäuser konzipiert und mit jeweils
vier Ecktürmen ausgestattet, die ebenfalls gegenüber
den Fassaden vortreten und ein Stockwerk höher
hinaufreichen, sodass man über ein Treppenhaus
geschützt bis aufs Dach gelangen kann. Konstruktiv
haben hierdurch die Fassaden an den vier Ecken die
nötige Aussteifung und im Falle von Kämpfen konnte
man von den vortretenden Teilen der Türme aus auch
die vier Fassaden gut überblicken und verteidigen.
Der einzige Unterschied zwischen den zwei Typen
von Burgen ist der, dass im Jemen die Ecktürme rund,
in Marokko hingegen eckig ausgeführt sind. Ob es
eine Beziehung zwischen den Burgen der zwei Län-
der gibt, ist nicht bekannt. Immerhin liegen zwischen
dem Südjemen und Marokko mehr als 6000 km
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix