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ANALYSE
Hier wurden über den Pfeilern, über oktogonalen
oder auch die mit im Profil 16-eckigen, also schon
fast runden Stützgliedern in mehreren Lagen vorkra-
gende Stäbe längs und quer aufgebracht, die zu
einer Verbreiterung der Auflagefläche führten. Dieses
aus dem Holzbau stammende Motiv wurde dann in
Stein als Kapitell umgesetzt. An manchen Stützen mit
achteckigem Profil wurden auch an den Ecken Stäbe
nach außen gespreizt, damit eine quadratische Auf-
lagefläche entsteht. Auch im Jemen dürften es meist
Architrave gewesen sein, die oben aufgelegt und
eingezapft wurden. Zeichnungen dazu finden sich
weiter vorne im Kapitel zu Marib. Mitunter sind auch
im Jemen bei den altsabäischen Säulenschäften mit
polygonalem Querschnitt sehr leicht, manchmal kaum
merklich, in anderen Fällen deutlich erkennbar nach
innen gekrümmte Kanneluren eingearbeitet worden
(siehe S. 74, Abb. 68 bis S. 77, Abb. 78).
Verschachtelungen
Eine wirkliche Besonderheit und ein Charakteristikum
der älteren jemenitischen Architektur und angrenzen-
der Regionen sind Verschachtelungen nach dem Vor-
bild vom Schachtelhalm. Diese fallen vor allem bei
vielen Türmen auf, finden sich aber auch bei niedri-
gen, langgestreckten Bauten, wie der Moschee west-
lich außerhalb der Stadt Schibam im Südjemen. Die
Lehmwände, die nach oben hin in ihrer Wandstärke
abnehmen, tun dies nicht kontinuierlich, sondern in
Stufen. Dabei wiederholen sie den Dekor in allen
Details rhythmisch, sodass der Eindruck entsteht, als
wüchsen immer wieder weitere etwas schlankere Fas-
sadenschichten der gleichen Art aus einem Bauwerk
oder aus einem Turm nach oben. Dies ist etwas, das
sehr charakteristisch für einen Teil der älteren jemeniti-
schen Architektur ist (siehe S. 107, Abb. 109; S. 108,
Abb. 110; S. 130, Abb. 134).
kralbauten. Man darf vermuten, dass diese Konstruk-
tionsweise erst mit der Verbreitung des Islam ab dem
7. Jh. n. Chr. ins südliche Arabien gelangt ist (siehe S.
213, Abb. 235).
Säulen, Pfeiler und ihre Kapitelle
Kapitelle sollten wohl ursprünglich dazu dienen, die
Auflagefläche über einem Stützglied, beispielsweise
über einem Pfeiler oder über einer Rundstütze zu ver-
größern, damit sich der Auflagedruck pro Flächen-
einheit im Übergang zur Decke verringert. Zugleich
sollte aber auch der obere Abschluss besonders ge-
staltet werden.
So gibt es bei der dorischen Säule im alten Griechen-
land eine breitere Deckplatte, den Abacus, und dar-
unter einen sich tellerartig nach oben im Durchmesser
verbreiternden sogenannten Echinus. Unterhalb folgt
der nach unten im Durchmesser wieder zunehmende
Säulenschaft mit seinen vertikalen Kanneluren. Diese
haben sich daraus ergeben, dass die Säulenschäfte
ursprünglich Baumstämme waren und diese von ihrer
Rinde befreit wurden, indem sie vertikal mit einem
Hohleisen geschält wurden. Bei der dorischen Säule
geht es allerdings manchmal nur um eine geringfü-
gige Vergrößerung der Auflagefläche für den über
ihr anschließenden Architrav. Der Abacus kann aber
auch eine bis zu fünffache Auflagefläche erreichen,
als die Oberkante des Säulenschaftes hat.
Bei der ionischen Säule ist gewöhnlich der Abacus
relativ dünn. Das Kapitell unterhalb sieht fast so aus,
als hätte man von oben fest auf ein weiches plas-
tisches Material zwischen Deckplatte und Säulen-
schaft gedrückt, sodass die Masse auf vier Seiten he-
rausgequollen ist und sich dabei eingerollt hat. Auch
hier ist der Schaft kanneliert.
Noch eigenartiger ist das korinthische Kapitell, das
aus zwei übereinander angeordneten Akanthusblatt-
kränzen von jeweils acht Blättern besteht. Optisch
tragen hier die etwas stabiler Wirkenden, zu Voluten
aufgerollten Stängel an den vier Ecken des Kapitells
unter dem meist auch schon recht reduzierten, nicht
mehr nur quadratischen, sondern geschwungenen
Abacus. Warum man ausgerechnet ein zwar stache-
liges, aber kaum tragfähiges Motiv für ein Architektur-
element gewählt hat, das tragen soll, erscheint fast
widersinnig.
Während also in der Antike im Mittelmeerraum die
Kapitellausbildungen sehr unterschiedliche Motive
umsetzten, hatten die Kapitelle des südlichen Arabien
wesentlich pragmatischere, funktionalere, konstrukti-
vere Gestaltmotive.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
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