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21Einführung
Die oberadriatische Region war nicht nur von ethnisch-sprachlichen
Gegensätzen geprägt, zumal selbst diese Gegensätze entweder fluid oder von
anderen Gegensätzen überlagert bzw. durchkreuzt waren. Die makropoli-
tischen Narrative suggerierten dennoch bei jeglichen Konflikten eine ein-
deutige Vorgeschichte, in der die angeblichen ethnisch-sprachlichen Unter-
schiede als einzige Konfliktmotivation dargestellt wurden. Die Erzählung
der Vorgeschichte ist allerdings – wie Albrecht Koschorke schreibt – immer
»ein rückwirkender Vorgang«,10 in dem viele Fragen und Aspekte, die eine
andere Erklärung nahelegen würden, ausgeblendet werden. In den dama-
ligen Erzählungen von ländlichen innerkatholischen Konflikten blieben
Ereignisse tatsächlich ausgeklammert, die das »nationale« Narrativ infrage
gestellt hätten.
Warum verweigerten etwa kroatischsprachige Menschen kroatischspra-
chigen Priestern den Zutritt in die Kirchen? Warum warfen slowenischspra-
chige Menschen Steine und Kot nach slowenischsprachigen Priestern auf der
Straße und in der Kirche? Warum wurde ein italienischsprachiger Bischof
von italienischsprachigen Menschen beschimpft und letztendlich aus ihrem
Dorf verbannt? Warum »tauften« kroatischsprachige Dorfbewohner ihre
Kinder allein, anstatt einen kroatischsprachigen Priester ins Dorf zu rufen?
Warum beharrten slowenischsprachige Menschen auf Begräbnissen ohne
slowenischsprachige Priester? Und warum hielt ein italienischsprachiger
Priester Predigten gegen die »Italiener«? Mit nationalen Gegensätzen (zwi-
schen »Italienern«, »Kroaten« und »Slowenen«) ließen sich die – in den fol-
genden Kapiteln näher zu schildernden – Beispiele nicht erklären.
In meiner Arbeit strebe ich die Rekonstruktion gewaltbefrachteter inner-
katholischer Konflikte an, um die internen Konfliktgründe zu erkennen
und diese mit ihrer externen Wahrnehmung zu konfrontieren. So lassen
sich die Vielschichtigkeit lokaler Gesellschaften und die innerkatholischen
Machtverhältnisse zum Vorschein bringen. Indem innerkirchliche Konflikte
jenseits ethnisch-nationaler Differenzen, mit einem starken Fokus auf sozi-
ale, religiöse Zugehörigkeit, erzählt werden, lassen sie sich als Gewalt- und
Emanzipationstendenzen – das heißt als Erscheinungen konfliktbeladener,
sozialer Modernisierung – erkennen, welche in allen anderen europäischen
Ländern anzutreffen waren.11 Dabei lässt sich beobachten, ob und wie Men-
10 Albrecht Koschorke, Wie werden aus Spannungen Differenzen? Feldtheoretische
Überlegungen zur Konfliktsemantik, in: Heinz Fassmann u. a. (Hg.), Kulturen der
Differenz. Transformationsprozesse in Zentraleuropa nach 1989, Göttingen 2009,
S. 271–285, hier S. 272 [Hervorhebung im Orig.].
11 Zur Bedeutung der Neuinterpretation sozialer Konflikte in der Habsburgermo-
narchie siehe (in concreto bezüglich der Arbeiterbewegung) Claire Morelon,
Social Conflict, National Strife, or Political Battle? Violence and Strikebreaking
in Late Habsburg Austria, in: European History Quarterly 49 (2019), S. 650–676,
hier S. 651f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303