Seite - 25 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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25Thematische,
räumliche und zeitliche Einordnung
tenlandes bezog sich die Frage, wem bzw. wie die kirchlichen Räume und
Rituale zugänglich gemacht werden sollten, auf die politischen und gesell-
schaftlichen Machtverhältnisse und Teilhabemöglichkeiten – das heißt auf
eine eminent politische und soziale Frage, welche innerhalb der katholischen
Kirche zu sozial bedingten Konflikten führten, weil die Konfliktparteien in
der sozialen Hierarchie unterschiedliche Positionen hatten.
Dass die katholische Kirche im ganzen Küstenland ethnisch-sprach-
lich heterogen war, erleichterte eine nationalisierende Erklärung für jeg-
liche lokale Konfliktfälle. Der ethnisch-sprachlichen Heterogenität war
freilich ein gewisses Konfliktpotenzial immanent – das will ich in meiner
Arbeit auf keinen Fall leugnen. Das heterogeniebedingte Konfliktpotenzial
konnte allerdings erst durch Prozesse der Modernisierung aktiviert und
verstärkt werden.19 Insofern wurden Konflikte, die mit der Herausbildung
einer modernen, fragmentierten Gesellschaft zusammenhingen, entlang
der vorhandenen und verstärkt wahrgenommenen Heterogenität (das heißt
der sprachlichen, ethnischen Unterschiede) inszeniert. Infolge der Über-
betonung der nationalen Komponente gerieten auch die innerkatholischen
Konflikte in den politischen Makrodiskurs der »Nationalitätenkonflikte«.
Chantal Mouffe analysiert in ihrer politischen Theorie, wie und warum ant-
agonistische (das heißt Freund / Feind) Gegensätze aus einfachen Differen-
zen (das heißt agonistischen Gegner / Gegner-Situationen) entstehen kön-
nen.20 Die antagonistischen Konflikte folgen einer eigenen Logik, jener des
Politischen. Diesem liegen zwei Logiken zugrunde: die Logik der Differenz
(das heißt dass das Eigene durch komplette Ausschließung eines Anderen
definiert wird) und die Logik der Äquivalenz (das heißt dass das Eigene nach
innen homogenisiert wird).21 Die harten, »klaren« Gegensätze treten aus
den weichen, fluiden Differenzen erst in einem politischen Konflikt hervor.
Sie sind demnach nicht Ursache, sondern Folge der Konflikte. Das heißt in
Bezug auf die »Nationalisierung« jeglicher Konflikte: Nur weil ein Konflikt
im politischen Vokabular des »Nationalitätenkonfliktes« vorgetragen wird,
bedeutet es dementsprechend noch nicht, dass dem Konflikt die ethnisch-
sprachlichen Differenzen als Ursache zugrunde lagen.
Dass die angegriffenen Priester und die angreifenden Kirchgänger nicht
selten zur selben Nationalität gehörten oder dass die Nationalität in den
ländlichen Gebieten anders erlebt wurde als in den städtischen Diskursen,
19 Moritz Csáky, Mitteleuropa / Zentraleuropa. Ein komplexes kulturelles System, in:
Österreichische Musikzeitschrift 60 (2005), S. 9–16, hier S. 14f.
20 Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frank-
furt a. M. 2007, S. 16ff.
21 Thomas Bedorf, Das Politische und die Politik – Konturen einer Differenz, in:
Ders. / Kurt Röttgers (Hg.), Das Politische und die Politik, Frankfurt a. M. 2010,
S. 13–37, hier S. 21f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303