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30 Einführung
lich aus der Fokussierung auf Elitendiskurse und Presse- und Parlaments-
debatten, die fälschlicherweise als Widerspiegelung der gesellschaftlichen
Dynamiken aufgefasst wurden.34 Somit verkam die komplexe Geschichte
des Habsburgerreiches zu Parallelgeschichten von sich ständig in Konkur-
renzkampf befindenen Völkern.35 Dabei wird die europäische Geschichte auf
die Nationalstaaten verengt und zur Norm einer angeblichen Fortschritts-
geschichte verklärt.36 Dieser »methodologische Nationalismus« bestimmte
sowohl inhaltlich als auch wissenstechnisch und wissenssoziologisch die
Arbeiten über die Habsburgermonarchie, weil die Historiographie (und die
Erinnerungspolitik) der posthabsburgischen Nationalstaaten an der Natio-
nalisierung ihrer Vorgeschichte und an der Essentialisierung ihrer Identi-
täten ein großes Interesse hatten.37 Die neuen »Nationalstaaten« erklärten
dementsprechend rückwirkend die Habsburgermonarchie zu einem »Völ-
kerkerker«, um ihre eigene Existenz dadurch begründen und legitimieren
zu können.38 Dieser »methodologische Nationalismus« schließt – wie Ulrich
Beck feststellt – die Vielfältigkeit der untersuchten Gesellschaften aufgrund
»monolithischer Imaginationen« aus:39 Die Gesellschaften werden dabei nur
im Rahmen einer konstruierten (oder imaginierten) homogenen Einheitlich-
keit analysiert.40
Weder die Kraft des Nationalismus noch die vorhandenen ethnisch-
sprachlichen Identifizierungen sollen allerdings in dieser Arbeit infrage
gestellt werden. Der Nationalismus ist jedoch ein Eliteprogramm – inso-
fern lassen sich lokale Dynamiken nicht (allein) durch ihn erklären. Die
innerhabsburgische Gesellschaft war – wie etwa Benno Gammerl in seiner
hervorragenden Monographie über die unterschiedlichen Differenzaus-
handlungsprozesse im Britischen und im Habsburgischen Reich nachzeich-
34 Moritz Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer
Essay zur österreichischen Identität, Wien u. a. 1996, S. 227.
35 Kerstin S.
Jobst
u. a., Neue Imperiumsforschung in der Osteuropäischen Geschichte:
die Habsburgermonarchie, das Russländische Reich und die Sowjetunion, in:
Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Gesellschaftsordnung 18 (2008),
S. 27–56, hier S. 32f.
36 Jörn Leonhard / Ulrike von Hirschausen, Empires und Nationalstaaten im
19. Jahrhundert, Göttingen 2009, S. 9f.
37 Als Fallbeispiel siehe etwa die Slowakisierung der davor mehrheitlich deutschspra-
chigen Stadt Preßburg / Pozsony / Prešporok; vgl. dazu Iris Engemann, Die Slowa-
kisierung Bratislavas. Universität, Theater und Kultusgemeinden 1918–1948, Wies-
baden 2012.
38 Krishan Kumar, Visions of Empire. How Five Imperial Regimes Shaped the World,
Princeton / Oxford 2017, S. 212.
39 Ulrich Beck, The Cosmopolitan Society and Its Enemies, in: Theory, Culture &
Society 19 (2002), S. 17–44, hier S. 18.
40 Ders. / Edgar Grande, Jenseits des methodologischen Nationalismus. Außereuropä-
ische und europäische Variationen der Zweiten Moderne, in: Soziale Welt 61 (2010),
S. 187–216, hier S. 189.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303