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34 Einführung
solle alle Lebensformen und Identifizierungen (vom Regionalismus bis hin
zum Katholizismus) umfassen, welche nicht eindeutig den klaren nationalen
Kategorien zuzuordnen seien. Zahra will somit die kritiklose und unreflek-
tierte Übernahme nationalistischer Selbstbeschreibungen und Kategorien
vermeiden, indem sie die Tragweite nationalistischer Politik infrage stellt:
The problem is that historians who analyze nations as »imagined communities« risk
remaining imprisoned within nationalists’ own discursive universe, analyzing the
contested content of nationalist ideologies and cultures without questioning the extent
to which those ideologies resonated among their audience.54
Zahras Konzept beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Nation und
Religion neu, weil dieses mit Hinweis auf die »nationale Indifferenz« kon-
fessionsgebundener Selbstverortungen aufgehoben bzw. relativiert wird.
Gerade die religiöse (besonders: die katholische) Identifizierung ermöglichte
eine Auflockerung der ethnisch-sprachlichen Cluster.55
Zahra verwies dabei auf mehrere neue Studien, welche die Eindeutigkeit
und Ausschließlichkeit der ethnisch-nationalen Identifizierungen – anhand
lokaler Beispiele – dekonstruierten. In diesen Studien wurden die religiöse
Überlagerung ethnisch-sprachlicher Identitäten,56 die Fluidität der sprach-
kulturellen »Grenzen«57 oder die wechselnden Selbstverortungen in den
Grenzregionen58 herausgearbeitet. Das Zahrasche Konzept konnte auch an
anderen Fallbeispielen mit Wissensgewinn erprobt werden.59 Das Ziel, die
lokale Komplexität (»nationale Indifferenz«) zu verstehen und nicht die zeit-
genössischen Makrodiskurse darüber (»Nationalitätenkonflikte«) zu repro-
duzieren, ermöglicht einen sozialgeschichtlichen Ansatz, in dem die Akteure
54 Ebd., S. 111f.
55 Siehe bezüglich der italienischsprachigen Katholiken Péter Techet, Imperiale
Loyalität unter den italienischsprachigen Katholiken in Triest der späten Habs-
burgermonarchie, in: Osterkamp (Hg.), Kooperatives Imperium, S. 297–314, hier
S. 303ff; »national indifferente« Elemente blieben auch später im zentraleuropäi-
schen Katholizismus anzutreffen, siehe bezüglich des Nachkriegspolens Jim Bjork,
»I Have Removed the Boundaries of Nations«. Nations Switching and the Roman
Catholic Church during and after the Second World War, in: Maarten Van Ginder-
achter / Jon Fox, National Indifference and the History of Nationalism in Modern
Europe, London / New York 2019, S. 204–224, hier S. 218.
56 Bjork, Neither German nor Pole.
57 Judson, Guardians of the Nation.
58 Zahra, Kidnapped Souls.
59 Siehe die Beiträge aus: Austrian History Yearbook 43 (2012); Van Ginderachter /
Fox, National Indifference and the History of Nationalism; sowie Jan Fellerer u. a.
(Hg.), Identities In-between in East-Central Europe, London / New York 2019.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303